Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Blockupy

Es ist vielleicht das Symbol des Protestes. Ein Straßenschild mit der Aufschrift «Bankfurt» – darunter der Hinweis «sie verlassen die demokratische Zone». Die Bilder einer «blockierenden» Polizei gingen am Wochenende durch die Medien und sichern der Protestbewegung – zumindest in der Schlacht der Bilder – einen Achtungserfolg. Vielen Bürgern wird damit klar, dass moderne Staaten längst die Strategie der Spannung beherrschen; inclusive des schrägen Angebots an kritische Bewegungen, sich zu radikalisieren. Die Frankfurter Demonstranten waren klug genug, darauf nicht einzugehen.

Das umstrittene Verbot vieler Veranstaltungen in Frankfurt führte dazu, dass genau diese inhaltlichen Forderungen von Blockupy bisher nicht wirklich einem größeren Publikum präsentiert werden konnten. Die Stärke der Bewegung – die auch aus Wirtschaftsanwälten, Intellektuellen und Akademiker besteht – liegt nach wie vor in der gekonnten Analyse des Problems, weniger in der Präsentation der Alternativen. Die Ikonen des Protestes, wie der Wirtschaftsprofessor David Graeber, destruieren immerhin in klugen Büchern die Schuldenlogik des Systems. In seinem FAZ-Interview urteilt Graeber noch eher unverbindlich und ganz Anarch über die Wirtschaftsgeschichte: «Mit der Einführung von Geld, mit der Verpflichtung, Steuern, Abgaben, dann auch geschäftliche und private Schulden zu monetarisieren, schließlich mit der Entstehung von Zins und Zinseszins wurden dann die ‘humanen Ökonomien’ zerstört.»

Wie sieht eine humane Ökonomie in einem post-kapitalistischen und post-kommunistischen Zeitalter aus? Blockupy steht zwar nach wie vor für eine Revolution ohne Inhalte, aber sie setzt die richtigen Anstöße und fordert ein, wofür die abendländische Tradition steht: das vernünftige Nachdenken. Die Frage: wie kann die entfesselte Finanztechnik gebändigt werden? Auf der Tagesordnung steht längst nicht mehr die moralische Einordnung der Finanzindustrie (sie ist eindeutig), sondern das tiefere Verstehen der wesentlichen Pfeiler der Finanztechnologie. Geld, Inflation, Banken und Markt sind Begriffe, die nun inhaltlich neu bestimmt werden müssen. Der Begriff der «freien Marktwirtschaft» ist es letztendlich im Kern, der vor einer Art Generalüberholung steht.

Am Horizont entstehen bereits denkbare, alternative Szenarien. Wir lernen beispielsweise, dass wir Geld nicht nur mit einem abstrakten Wert in Umlauf setzen können. Grundsätzlich könnten auch andere Marktteilnehmer als die Nationalbanken besseres Geld – zum Beispiel als gold- oder silbergedeckte Währungen – zumindest alternativ in Umlauf bringen. Wir ahnen, dass ein bankenbasiertes System nicht gottgegeben sein muss und verstehen zunehmend, dass jede freie Marktwirtschaft dem Untergang geweiht ist, wenn Monopole die Gesetze dieses Marktes eigennützig bestimmen. Wir können übrigens, vielleicht müssen wir sogar, als vernünftige Bürger auch wirtschaftliche Nachteile – natürlich mit einem anderen Geist – bewusst in Kauf nehmen.

Das vielleicht realste Szenario ist bisher: die Bundesrepublik könnte auch aus dem EURO aussteigen. Allerdings müssen wir dann den Verdacht schlüssig entkräften, dass eine Rückkehr der D-Mark wirklich die Verhältnisse anders auf den Kopf stellt. Auch die Wiedereinführung der D-Mark könnte durch eine nach wie vor unkontrollierte Geldschöpfung keinen echten Schutz vor schleichender Enteignung gewähren und den Problemen der Verschuldung nur eine andere Recheneinheit zur Verfügung stellen.

Natürlich sind diese Überlegungen alle – nach Jahrzehnten des programmatischen Stillstandes im Feld der Ökonomie – noch ein Expermentierfeld der Gedanken, aber ohne diese Visionen und den inhaltlichen Streit darüber sind solche Alternativen eben auch nicht fassbar. Nur mit moralischer Entrüstung ist dem System und seiner herrschenden Doktrin der Alternativlosigkeit nicht beizukommen. Jeder Bewegung, die statt Ideologie praktische, funktionierende Modelle eines anderen Marktes entwickelt, ist sich jedenfalls großer Aufmerksamkeit gewiss.

Hier könnten auch Muslime einen Beitrag aus ihrer Offenbarung heraus leisten. Leider sind unsere Vertretungen bezüglich eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen unserer Zeit sprachlos (sehen wir mal von dem fragwürdigen Versuch des Zentralrates, im internationalen Finanzystem ihren kleinen Halal-Krämerladen zu etablieren, ab).

Das Beispiel Griechenland zeigt, dass die Lage ernst ist. Neben dem Gezänk der Parteien lauert schon der alte Feind der demokratischen Verhältnisse; der Ausnahmezustand. Eine unbekannte Größe und Teil des bisherigen Schuldendebakels ist das hochgerüstete Militär. Die anvisierte Ausnahmegesetzgebung der EU-Richtlinien, das drohende Chaos durch die Politik der Märkte und die Rolle der Armee könnten sich zu einem «autoritären» Kapitalismus zusammenbrauen. Wahlen wären dann künftig nur noch Abstimmungen bis zu einem gewissen Punkt. Ob das Volk wirklich die Macht hat, ist zunächst eine These, die sich nicht im politischen Alltag, sondern im Ausnahmefall beweisen muss.