Während ich heute in Konstanz den schönen Blick auf den Bodensee und die Alpen genieße, brauen sich über Europa dunklere Wolken zusammen. Ein zuverlässiges Indiz für den Zeitenwandel ist die Stimmung im bürgerlichen Leitmedium, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Beim Kaffee an der Strandpromenade lese ich einen melancholischen Artikel über den Zustand des Politischen von Dirk Schümer. Der Tenor: „In Wahrheit hat sich das Gesetz politischer Alternativen im Wettbewerb demokratischer Kräfte unter dem Diktat der Ökonomie erledigt.“
Das sitzt. Und es stimmt sogar. Europa mutiert langsam aber sicher zur Räterepublik – Sachverständigenräte natürlich. Angesichts der komplexen Materie und unzähliger Gesetze, die die Beherrschbarkeit globaler ökonomischer Strukturen vorgaukeln, haben nicht nur viele Abgeordnete, sondern auch eine große Zahl Wähler längst die Segel gestrichen. Die europäische Bürokratie wächst, lokale Alternativen schwinden.
Die Parteien, die wie Schümer sagt, angesichts der Dimensionen des Problems „verkommen“ wirken, sind tatsächlich überfordert. Eigentlich kein Wunder, denn die Politiker selbst waren es ja, die – eigentlich unabhängig von ihrem Hintergrund – uns an die wundersame Geldvermehrung gewöhnt haben. Wir haben uns auf die Verteilung immer neuer Gaben eingelassen, die allerdings nur in der Form von neuen Schulden in die Welt kamen.
Als Gegenleistung akzeptierten wir stillschweigend, wie die Politiker, die wir wählen, den allgemeinen Zustand der „Verschuldung“. Die Aussicht auf den Volkszorn tut nun ihr übriges. Auch wenn Inflation und der Zerfall des Ersparten drohen, die Politiker betreiben in ganz Europa inzwischen wieder die Flucht nach vorne, zu neuen Schulden eben.
Da wir Europäer auf unsere Vernunft stolz sind und unbezahlbare Schulden eher nach Wahnsinn klingen, soll der Trend später mit Wachstum umgekehrt werden. So die Theorie, nur wird nicht viel wahrscheinlicher bald „rien ne va plus“ im Kasino gerufen werden?
Auch hier im süddeutschen Idyll weiß man um die Macht des Geldes und bezahlt natürlich schon aus Bürgerpflicht seine – und eben notgedrungen auch andere – Schulden. Aber, man tut sich natürlich auch hier „schräglich uffrege“ über die Politiker, nur was tun? Erst einmal ein Eis essen. An einem solchen sonnigen Tag wie heute geht das gute Leben eben unaufhaltsam seinen Gang, aber die Bodenseeregion ist berühmt für ihre schnellen Wetterwechsel.
Im Grunde steht die landesweite Suche nach einer neuen Lebenskunst an. Geordnete Verhältnisse, die nicht nur auf Zahlungsversprechen beruhen, Tausch und Markt, als Institutionen, die auch einen Versorgungsengpass überstehen lassen. Soziale Beziehungen und Freunde, denen man – als eine ganz andere Währung – einen Gefallen schuldet oder in der Not etwas abgibt.
Das Bewusstsein eben, dass die Hand die gibt, besser ist, als die Hand die nimmt. Alles Themen, bei denen Muslime einige erprobte soziale und ökonomische Techniken anzubieten hätten. Mit ein wenig Gemeinschaftssinn könnte man sie sogar vorleben. Das wäre sympathisch und würde Hoffnung vermitteln.
Nur, es schwäbelt zum Thema Islam aus dem Radio: Heute wird erst mal ein militanter „Salafist“ aus dem Ländle ausgewiesen. Mal schauen, wie es morgen wird.