Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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Das globale Dorf – Jakarta

Ein geläufige Redewendung behauptet, die Globalisierung würde aus der Welt ein Dorf machen. Das ist natürlich eher ein romantisierendes Bild. In einem Dorf kennt man sich gut aus, kennt die Bewohner und ihre Geschichten, teilt ihre Probleme. Was es aber heißt, in der sogenannten Dritten Welt, also jenseits des Wohlstandslimes, zu leben, kennen wir selten aus der direkten Perspektive. Die Dritte Welt ist für uns zumeist eine abgeschottete Urlaubszone.

Ein Ort, wo man die Folgen der Globalisierung ganz gut studieren kann, ist für mich beispielweise die 15-Milllionen-Einwohner-Metropole Jakarta in Indonesien. Jakarta ist weiß Gott kein Dorf. Man muss kein Wissenschaftler sein, um hier einige Folgen unmittelbar zu verspüren. Eine kurze Fahrt durch das Straßengeflecht, und man lernt eine andere Art von Verkehrsproblem kennen: den Stillstand. Aus einer kurzen Fahrt wird schnell eine stundenlange Odyssee. Oder aber man wartet an einer der Straßen eine Viertelstunde, um eine der Lücken zu erspähen, die einem, wenn man gut rennen kann, das Überqueren ermöglicht. Stillstand und Tempo wechseln sich hier ab.

Die Regierung der Stadt fordert ihre Bevölkerung immer wieder auf, die Stadt zu verlassen, die längst nicht mehr in der Lage ist, diese Massen aufzunehmen. Die Landflucht und damit die Sehnsucht nach einem besseren Stadtleben führt jedes Jahr Hunderttausende in Wirklichkeit in noch größere Armut. Jeden Tag spült die Großstadt, die keine Kanalisation besitzt, ihren Müll in das nahegelegene Meer. Die Umweltprobleme Indonesiens sind nur noch schwer zu übersehen.

Die Debatte über die Globalisierung ist hier weniger akademisch, sondern schlicht existenziell. Fünf Millionen Kinder sind schlecht ernährt, hunderttausende Kinder unterernährt. Die Regierung streitet mit der Weltbank, ob die Zahl der Armen bei ihren 30 Millionen oder aber bei den von der Weltbank verbreiteten 110 Millionen liegt. Arm zu sein heißt, von weniger als zwei Dollar pro Tag leben zu müssen. Gleichzeitig steigt die kleine Elite der Globalisierungsgewinner, und die Korruption gehört schon beinahe traditionell zum Staatswesen.

In der „Jakarta Post“ wird der Zusammenhang zwischen Hunger, Unterernährung und Kapitalismus diskutiert. Auch beachtliche Wachstumsprozente konnten bisher nicht verhindern, dass sogar in Jakarta Kinder verhungern. Endy Buyuni kritisiert die Regierung, sie sehe in der Unterernährung der Kinder nur ein „Gesundheitsproblem“, in Wahrheit hieße aber die Krankheit „Armut“ und „Arbeitslosigkeit“. „Dies geschieht“, so Buyuni, „zu einem Zeitpunkt, wo die Wirtschaft des Landes um 6 Prozent wächst“. Ob das Ideal des ewigen Wirtschaftswachstum das Hungerproblem lösen kann, zweifeln immer mehr besorgte Indonesier an. Auch hier, in dem Dritte-Welt-Land, sorgt Wirtschaftswachstum längst nicht mehr für neue Jobs. „Heißt die Krankheit am Ende doch Kapitalismus?“ frägt man sich nicht nur in diesem Leitartikel.