Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Der Mann und der Hund

Wir sehen abends im Fernsehen einen unbekannten, namenlosen Mann. Das Bild scheint aus dem Irak zu sein. Wir wissen nicht, ob wir einen Verbrecher sehen, einen Drahtzieher der Madrider Anschläge, einen Zigarettenhändler oder einen Unschuldigen. Er ist nackt, hat blutende Wunden und wird von einem Hund angebellt. Der Hund ist uns ins Auge gesprungen, der Hund, so kommt es uns vor, ist nicht zufällig Teil des Bildes. Der Mann, so müssen wir denken, hat große Angst. Wir wundern uns derweilen über uns selbst. Warum trifft uns dieses Bild? Haben wir nicht monatelang die geschmeidigen Operationen von Schiffen und Panzern gesehen, das Zusammenspiel von Bildschirmen, Radar und Raketen? Wir sind auch nicht so naiv, dass wir nicht auch großes Leid im Schatten der Aktionen der Apparate vermuteten. Was schert uns da ein einzelner Mann.

Aber dieses Bild wirkt anders und schockiert uns auf einer anderen, tieferen Ebene. Vielleicht gerade, weil der Mann, der von dem Hund angebellt wird, noch zu leben scheint. Gehören wir vor unseren Fernsehapparaten, unser einfacher Instinkt, dass hier maßloses Unrecht geschieht, und das sich daraus ergebende Bild zusammen? Die westliche Wertephilosophie sieht sich schon länger im Irak ihrem erklärten Unwert gegenüber: dem Islamisten, dem Terroristen. Er ist die heutige Verkörperung des Unwertes. Seine Existenz, die mehr einem Wolf als einem Kombattanten der Genfer Konvention gleicht, ist Grundlage eines globalen Ausnahmerechtes. Manche der Handelnden, ob in Uniform oder nicht, glauben: „Erst nach der Vernichtung dieser Nicht-Menschen wird die Welt gut sein“. Aber auch der Schritt vor der physischen Vernichtung ist in sich konsequent. Als Insasse der neuen Lager dieser Welt hat er bereits zu unserer Sicherheit keinen menschlichen Wert mehr. Natürlich hat er kein Menschenrecht. Der Lagerinsasse wird uns also nicht zufällig nackt vorgeführt, denn – so die Botschaft – dieser Mensch soll und darf nichts mehr haben. Er ist ein Nichts.

Gehört das unverhohlene Zeigen dieses Nichts zu diesem, unserem System der Weltbeherrschung? Welches Denken macht ihn zu diesem Nichts? Zeigt sich hier die Schizophronie unserer Gesellschaften, die sich zuhause allein als Friedensmächte sehen wollen, aber in den dunklen Korridoren der Weltpolitik ihre andere Seite ausleben?

Szenenwechsel. Im Kosovo, also bei uns in Europa – so zumindest Amnesty International, hat sich um unsere Heere eine Kultur des Frauenhandels und der Prostitution etabliert. Minderjährige Mädchen werden zuerst eingeschüchtert und dann Soldaten zugeführt. Die Körper der Frauen in dieser Region werden so, diesmal in Friedenszeiten, wieder Teil einer abgründigen Biopolitik. Auch sie haben nichts, keine Rechte, kein Geld. Sie sind nur noch nacktes Leben. Welche Fragen ergeben sich aus der Existenz und der Möglichkeit dieser Bilder, die für manche nur unbedeutende „Nichtigkeiten“ sind? Man hört die ersten hilflosen Antworten, deren Maxime in Richtung „da muß einer zurücktreten“ geht.

Ja,treten wir ein wenig zurück. Man weiß, wenn die Macht ihre ersten Lager offen in der Öffentlichkeit zeigen und behaupten kann, dann muss die Bevölkerung bereits so politisch hilflos wie ohnmächtig sein. Die Debatte um die andere, nach außen gewandte Seite unserer Gesellschaft kommt also schwer in Gange. Es sind schwere Gedanken. Das herrschende Prinzip ist nach wie vor einfach: die Denkwelt des Westens will nur verantwortlich sein für das, was sein soll, nicht für das, was ist. Die befreiende Losung: „Im Irak wird alles gut“ – Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft. Vielen fehlt es zwar am Glauben, dass es so einfach werden wird, aber die Ziele werden als so unbefragbar gut überhöht, dass ein wenig Leid und Folter wie ein zu tolerierendes Nichts erscheinen.