Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Einladung !?

Wahrlich trostlos wirken einige Bilder der jüngsten Auseinandersetzungen zwischen rechten und salafitischen Gruppen bei den „Videozeugen“. Wenn sich Muslime in einen Konflikt auf Augenhöhe mit dem Mob einlassen, dann kann dies leider nur auf Kosten der Würde gehen. Die Extreme berühren sich nicht nur; sie schaffen auch, gerade wenn sie sich dialektisch aufeinander beziehen, auf Dauer eine gewisse Wesensangleichung. Intolerabel sind natürlich auch – egal von wem – Angriffe auf die Polizei.

Die Stärkung der Extreme ist ein Indiz für die Schwächung der Mitte. Man könnte meinen, dass diese Mitte heute durch den organisierten und politischen Islam vertreten wird. Das wirkt auf mich aber zunehmend wie eine Täuschung. In Wirklichkeit ist die Mitte unbesetzt, erstarrt und nur mühsam von einigen Funktionären verwaltet, während die Mehrheit der Muslime, die das Bild des Islam eigentlich prägen sollten, entweder gelähmte Zuschauer sind, oder als Tagträumer der verlorenen Heimat nachtrauern.

Die Mitte wird nicht durch das Verbreiten von Presserklärungen gebildet. Sie entsteht durch die authentische Praxis des Islam selbst, die Erhebung und die Zahlung der Zakat beispielsweise, die echte Gemeinschaft und Zugehörigkeit schafft. Dies ist natürlich viel wichtiger als die antiquierte Kultivierung des ethnischen Hintergrundes der Muslime. Nicht umsonst wird der Zusammenhang zwischen Gebet und Zakat dutzendfach im Qur’an erwähnt. Nicht umsonst hat der organisierte Islam den Bedeutungszusammenhang der Zakat-Erhebung de facto ignoriert.

Unser Prophet hat nicht nur einen Moschee, sondern auch einen Markt etabliert. Für die islamische Zivilisation ist dieser Zusammenhang elementar. Kultur kann man nicht organisieren, sie entsteht. Die Moscheeanlage ist nicht nur ein tristes Gebetshaus, sondern der Ort, an dem man gemeinsam betet, lernt und lebt und an dem es soziale Einrichtungen für Männer, Frauen und Kinder gibt. Die Existenz des Marktes – nicht etwa die technische Realität von Vereinen oder Parteien – ist ein Zeichen davon, ob das islamische Leben pulsiert und ob die Muslime jenseits der Einschränkungen von Ideologie oder Kultur handelnd zusammenkommen.

Die Bedeutung des Marktes und die Leistung der muslimischen Händler und Händlerinnen bringt David Gräber in seinem Buch „Schulden“ auf den Punkt:

„Die Händlerklasse des mittelalterlichen ‘Nahen Westens’ hatte ein ungewöhnliches Kunststück vollbracht: Indem sie den Wucherhandel aufgab, stieg sie an der Seite der Religionsgelehrten zur Führungsschicht von Städten auf, die weitgehend auf zwei Säulen ruhten: der Moschee und dem Basar. Dank der Ausbreitung des Islam stieg der Markt zum globalen Phänomen auf und funktionierte weitgehend unabhängig vom Staat entsprechen seinen eigenen inneren Gesetzen. Gerade weil es sich hier nicht um einen vom Staat eingerichteten und von dessen Polizei und Gefängnissen gesicherten, sondern um einen in gewissem Sinn wirklich freien Markt handelte – wo Vereinbarungen mit Handschlag besiegelt und schriftliche Versprechen gegeben wurden, die nur mit der Integrität des Unterzeichners abgesichert waren –, konnte er sie nie in das verwandeln, was jenen vorschwebte, die später viele gleichartige Vorstellungen und Argumente übernahmen: In einen Markt, auf dem sich durch und durch eigennützige Individuen mit allen verfügbaren Mitteln einen materiellen Vorteil zu schaffen suchten.“

Das Traurige an den Hundertschaften moderner Salafisten ist, dass sie sich die notwendige Rückbesinnung auf das Wesen der ersten Gemeinschaft anmaßen, ohne die Bedeutung oder Realität dieser Gemeinschaft auch nur ansatzweise vorleben und andeuten zu können. So soll das Plärren der Lautsprecher, sich schlecht benehmende Jugendliche und verhüllte Frauen, die im ALDI einkaufen, eine Einladung zum „Paradies“ sein. Welcher Deutscher und welche Deutsche wird diese Art der Einladung ernsthaft in Erwägung anziehen? Wer dem Prophet nacheifern will, sollte nicht nur wie er die Frauen gut behandeln und ihren Geschäftsinn fördern, sondern auch den Zusammenhang von Moscheen, Stiftungen und Märkten etablieren.