Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Eliten

Ein großer Tag für die Sehtlik Moschee, lese ich. Bundespräsident Joachim Gauck hat die ehrwürdige Anlage in Berlin besucht. Er lässt sich vorbeten und hört interessiert den Ausführungen des Imams zu. Die etwas ungewöhnlichen Protokollfragen werden souverän gemeistert: Die Sicherheitsbeamten tragen dem Staatsoberhaupt dezent die Schuhe hinterher.

Es ist ein leichter, schöner Termin. Gauck wird beinahe begeistert empfangen und hat inmitten der Gläubigen, die der bedingungslosen berühmten Gastfreundschaft türkischer Muslime entsprechen, die erwartete gute Zeit. Gauck ist auch wohlwollend, Vorurteile sind eher subtil verpackt und äußern sich in der Idee einer Begegnung von Kulturen, die den Islam und damit auch die deutschen Muslime, kulturell anders oder gar „außereuropäisch“ verorten.

Überraschend finde ich aber etwas Anderes. Im „Tagesspiegel““wird berichtet, dass unser Präsident zum ersten Mal eine Moschee in Deutschland betreten hat. Zum ersten Mal? Heißt das, frage ich mich, dass der Präsident – bevor er einmal eine der zahlreichen Moscheen in unserem Land betrat – schon wusste, dass der Islam kein Teil Deutschlands ist?

Tatsächlich entspricht diese erste Begegnung dem Bild, dass die deutschen Eliten bisher kaum echte Berührungspunkte mit den Muslimen hatten. Ganz selten sind die – statt der medialen Inszenierung – inhaltlich geprägten Begegnungen auf intellektueller Augenhöhe. Häufig geht so größte Distanz mit dem härtesten Urteil einher. Was man über den Islam und die Muslime zu wissen meint, stammt zumeist aus Berichten, Vorlagen und dem Eindruck von Lobbyisten. Es sind Fakten aus 2. Hand.

Warum ist das so? Nun, offensichtlich hatte der Islam, bevor er zu der großen Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts wurde, für unsere Eliten keine besondere positive Relevanz. Auch Gauck reflektiert und interpretiert den Islam – insoweit er ihn sorgt und ihn öffentlich bespricht – vor allem als ein Phänomen der modernen Politik. Die ideologische Verformung des Islam muss für den Pfarrer aus Rostock ein Gräuel sein. Im „Salafisten“ erscheint ihm ein Typus, der das auf Millionen Muslime Schatten werfende Gegenbild zur europäischen Aufklärung verkörpern soll; eine Aufklärung, der sich Gauck ausdrücklich verpflichtet sieht.

Für Gauck ist die Freiheit von der Tyranei und den Ideologien des 20. Jahrhunderts schlicht die Grundfrage seines Lebens. Wohl auch deswegen haben ihn der Angriff auf die Demokratie aus dem ökonomische Feld und die Versäumnisse der Aufklärung diesbezüglich überrascht. Wegen der heute üblichen Reduzierung des Islam auf seine politische Wirkung dürfte ihm die fundamentalen, freiheitlichen Maximen islamischer Ökonomie gänzlich unbekannt sein.

Wenn es je einen Austausch der Eliten über den Islam geben sollte, so wäre das aktuelle Verhältnis des Islam zum ökonomisch geprägten Totalitarismus unserer Zeit wohl eine der spannendsten Fragen. Nach der öffentlichen Zertrümmerung der Reputation des Islam bedarf es hierzu der Mentalität eines Archäologen, der zunächst mühsam die eigentliche Essenz des Islam freilegen muss.

Es gab Momente in Deutschland, als sich unsere Eliten dem Islam grundsätzlicher zuwandten: Goethe erforschte den Islam noch anders, unbekümmerter, denn der Universaldenker regte der offensichtliche Unterschied der Glaubensinhalte von Christen und Muslimen an. Mehr noch, er konnte den Islam und seine Einheitslehre – bis hin zur Ablehnung der Trinitätslehre – einfacher und ohne intellektuelle Widerstände denken.