Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Frage von Leben und Tod

In der Süddeutschen Zeitung findet sich ein ungewöhnlicher Brief an den Bundeskanzler. In dem Brief (siehe unten) erinnern einige Prominente den Kanzler an seine Versprechungen etwas gegen die Armut zu tun. Ein ganz einfaches Anliegen. Wer heutzutage diese Seite unserer Moderne anprangert wird aber immer öfters als „Spinner, Moralist oder Träumer“ abgefertigt. Das ökonomische System beansprucht offen die absolute Alternativlosigkeit für sich.

Im SPIEGEL kommentiert Henryk M. Broder den Brief, den auch viele Experten zeichnen, mit einem konsequent zynischen Argument unter dem Motto „So viele verhungern ja gar nicht mehr“. Interessant auch die so hilflose wie wenig objektive Quelle dieser These: die Weltbank.

„Nach Angaben der FAO, der Agrarorganisation der UN, ist die Zahl der Hungernden seit 1970 weltweit kontinuierlich zurückgegangen. Nach Angaben der Weltbank haben 1950 zwei Drittel der Menschen in den Entwicklungsländern in Armut gelebt, heute sind es noch 13 Prozent. In Zahlen waren das 1950 etwa 1,2 Milliarden Menschen, heute sind es 650 Millionen – bei einer Verdoppelung der Weltbevölkerung. In diesem Jahr ist die Wirtschaft weltweit um vier Prozent gewachsen, in den Enwicklungsländern sogar um sechs Prozent. Es kann also keine Rede davon sein, die weltweite Armut sei heute „größer als je zuvor!“ Dies ist nur die Vorstellung von Menschen, die mit ihrem Gault&Millau in der Hand durch die Provence reisen und außer frischen Austern auch ihr schlechtes Gewissen genießen möchten.“

Hier nun der Brief:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

IM Jahr 1999 waren Sie Gastgeber des G8-Gipfels in Köln und leisteten Ihren Beitrag dazu, die acht mächtigsten Länder der Welt auf die großartige und bahnbrechende Idee zu verpflichten, unfairen Schuldenlasten ein Ende zu bereiten. IM Jahr 2000 gingen Sie noch einen Schritt weiter und verpflichteten Deutschland auf die Millenniums Entwicklungsziele, nach denen die Armut auf der Welt bis zum Jahr 2015 halbiert werden soll. Herr Schröder, damals haben Sie wörtlich gesagt: „Wir können dazu beitragen, dass weniger Kinder sterben und mehr Menschen eine friedliche Zukunft haben, wenn wir gemeinsam entschlossen handeln.“

HEUTE ist es um diese Idee nicht gut bestellt. Keines der G8-Länder hat sein Versprechen gehalten. Aber einige wie Großbritannien und Frankreich strengen sich an, mehr zu tun als Ihr Land. Unser Land, Herr Schröder! Wir kennen die Einwände, nämlich dass Deutschland unter den ökonomischen Folgen der Wiedervereinigung leidet, dass die Zeiten schwer sind, dass die Wähler von Ihnen erwarten, innenpolitische Themen anzugehen. Aber es geht hier um ein innenpolitisches Thema. Eine so ungerechte Welt ist gefährlich und wird zur Brutstätte von Terror und Angst. Und die negativen Folgen für die Menschen sind katastrophal. Für uns alle! Die weltweite Armut ist größer als je zuvor!

Tag für Tag führen in den ärmeren Ländern Hunger und Mangel zum Tod von 50 000 Menschen. Täglich sterben dort 8 000 Menschen an den Folgen von AIDS, einer Krankheit, deren Ausbreitung wir verhindern können. Auch in diesem Moment stirbt wieder ein Kind an Unterernährung.

IM NÄCHSTEN JAHR hat die Welt eine Chance, dies zu ändern. Wenn Sie gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs auf dem G7/G8-Gipfel ein umfassendes Sofortprogramm zur Armutsbekämpfung beschließen, das mehr und bessere Entwicklungshilfe, gerechten Handel und Schuldenerlass beinhaltet, können wir noch immer die Generation werden, die sagen kann: „Wir haben unser Versprechen gehalten.“ Nämlich die Generation, die jeden Tag 50 000 Menschen das Leben gerettet hat. Wir bitten Sie, uns zu überraschen. Und der Welt zu zeigen, dass sich Deutschland der Zukunft der ganzen Menschheit verpflichtet fühlt und danach handelt.

Wir für unseren Teil werden Ihnen öffentlich Beifall zollen, wenn Sie endlich Ernst machen mit der Armutsbekämpfung.

Claudia Schiffer, Herbert Grönemeyer, Dr. Alfred Biolek, Franka Potente, Günther Jauch, Heike Makatsch, Roger Willemsen, Wim Wenders.

Für den Verband Entwicklungspolitik (VENRO): Dr. Reinhard Hermle, Misereor, Dr. Claudia Warning, Karl Kübel Stiftung, Peter Mucke, terre des hommes, Annette Berger, Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke, Eberhard Neugebohrn, Eine Welt Netzwerk Hamburg, Dr. Hans-Joachim Preuß, Deutsche Welthungerhilfe, Eberhard Bauer, Stiftung Nord-Süd-Brücken, Elke Rusteberg, Kindernothilfe, Jürgen Lieser, Caritas international.