Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Islam – ein Teil Deutschlands?

Design: IZ Medien

„Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt.“ Johann Wolfgang v. Goethe

Die letzten Jahre sind von der innengesellschaftlichen Debatte über die Rolle des ­Islam in Deutschland geprägt. Dabei ist unstrittig, dass die Muslime Deutschlands Teil der Gesellschaft sind, also eine Gestalt mitbilden, die mehr umfasst als ihre Teile. Muslime beten, glauben und werben aber auch für ihre Lebenspraxis im Rahmen der verfassungsgebenden Realität. Sie wirken politisch auf Entscheidungsprozesse ein, nicht zuletzt um ihre Bürgerrechte, insbesondere die Religionsfreiheit, zu wahren. Ihre multi-ethnische Herkunft steht dabei nicht im Widerspruch mit der Möglichkeit der Anerkennung als gleichberechtigte Bürger.

So weit so gut, möchte man sagen. Warum provoziert aber die These, der Islam sei Teil Deutschlands? Hierfür gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Wenn man davon ausgeht, dass der Islam sich selbst als ein Zusammenspiel von „Islam, Iman und Ihsan“ definiert, dann besteht er aus sichtbaren und unsichtbaren Elementen. Seine unsichtbaren Glaubensinhalte werden heute exklusiv an Universitäten und in Moscheen gelehrt, das sichtbare Verhalten von Muslimen erscheint dagegen in der Öffentlichkeit und wird entsprechend kontrovers beurteilt.

Es gehört zu den zentralen Attacken des Populismus auf den Islam, jedes Fehlverhalten von Muslimen, meist ausweislich ihrer ethnischen Herkunft als solche definiert, ihrem Glauben zuzurechnen. Straftaten, von Muslimen begangen, werden dann mitsamt ihrer negativen Substanz einfach der Religion zugerechnet. Es spielt in dieser destruktiven und ausgrenzenden Sicht keine Rolle mehr, dass die Lehre des Islam einerseits diesem Verhalten keinerlei Grundlage gibt, noch die absolute Mehrheit der Muslime gegen Gesetze der Bundesrepublik verstößt.

Grundlage des Verhaltens eines Muslims sollten die Maßstäbe des islamischen Rechts sein, welche Verhaltensnormen beschreiben, die erlaubt, verpönt oder verboten sind. Naturgemäß berühren Teilbereiche dieser Grundsätze die rechtlichen Normen der Bundesrepublik, die aber nach islamischem Verständnis vorgehen, oder aber sie sind von vornherein im Rahmen dessen, was die Rechtsordnung erlaubt. Über Jahrhunderte passen Rechtsschulen das islamische Verständnis von Recht und Ordnung veränderten Verhältnissen an.

Die Frage, ob der Islam Teil Deutschlands ist, kann von Muslimen und Nicht-Muslimen durchaus unterschiedlich und mit verschiedener Intention diskutiert werden. Konservative Kreise mögen zum Beispiel argwöhnen, es sei die Tendenz der Muslime, immer größere Teile ihres Rechtsverständnisses in der Gesellschaft durchzusetzen. Hier zeigt sich eine Vorstellung dominant, die den Islam in der Neuzeit in erster Linie als eine politische Ideologie verstehen will, die entsprechend dieser These das ganze Leben politisieren will. Dabei wird schnell vergessen, dass ein muslimisches Engagement für die Mission, für soziale Einrichtungen oder für ein anderes Wirtschaftssystem durchaus verfassungsrechtlich gedeckt ist.

Aber auch Muslime können sich, um eine andere Argumentationsebene anzuführen, an dem Gedanken stören, der Islam sei bereits Teil Deutschlands. Für diese Sicht ist die Phänomenologie des Islam noch nicht einmal vollständig in der Debatte angekommen. Es fehlen also Teile, die das muslimische Leben seit Jahrhunderten entscheidend prägen. Es stimmt ja offensichtlich, dass, wenn man beispielsweise zur Realität des Islam auch die Einheit von Moschee, Markt und Stiftungswesen rechnet oder die korrekte Erhebung und Verteilung der Zakat mitdenkt, der Islam gerade eben noch nicht Teil Deutschlands geworden ist.

Die Öffentlichkeit nimmt nach dieser Auffassung überhaupt nur bestimmte Teile muslimischer Lebenswirklichkeit wahr. Die Mehrheitsgesellschaft übernimmt dabei zunehmend auch die Deutungshoheit über islamische Begrifflichkeiten. Oft werden gerade die Themen öffentlicher Auseinandersetzung dabei von Muslimen selbst als eher peripher empfunden. Hierher gehört auch die Ignoranz gegenüber der sozialen Kompetenz der Muslime oder Kenntnisse über den Beitrag muslimischer Gelehrsamkeit in den philosophischen und ökonomischen Debatten dieser Zeit. In ganz Europa wird inzwischen diskutiert, ob der Islam nicht immer wichtiger Impulsgeber des europäischen Geisteslebens war und warum dies immer wieder verdrängt wird.

In einer aktuellen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung wird nun verbreitet, dass über 40 Prozent aller Deutschen eine Unterwanderung der Gesellschaft durch den Islam befürchten. Der vage Begriff der „Unterwanderung“ lässt natürlich einigen Interpretationsspielraum offen: Ist damit die wachsende Zahl von Muslimen in der Gesellschaft gemeint, das Erscheinen von Symbolen des Islam in der Alltäglichkeit oder die Manifestation islamischer Glaubenseinrichtungen in unseren Städten?

Die Umfrage irritiert bereits insoweit, als mit Unterwanderung wohl kaum die relevante Präsenz der Muslime auf den Entscheidungsebenen der Politik oder in den gesellschaftlichen Eliten gemeint sein kann. Nimmt man die Parteien als wichtige Spieler im politischen Ent­scheidungsraum, so sind Muslime dort weniger vertreten, sondern eher Objekt der Ausgrenzung. Von Unterwanderung kann jedenfalls kaum die Rede sein. Eine andere Frage ist, ob die Ergebnisse der Umfrage das Gefühlsleben der ­Deutschen in Sachen Muslime doch ganz gut treffen.

Eine der Schwierigkeiten der Debatte um die These, der Islam sei Teil Deutschlands, besteht ja darin, dass heute die Signifikanz bestimmter Begriffe, die mit dem Islam assoziiert werden, das Stimmungsbild von vornherein negativ toniert. Das „Terrorphänomen“ oder die Möglichkeit der Radikalisierung von Minderheiten muslimischer Jugendlicher spielt dabei in der Diskussion über gesellschaftliche Veränderungen eine asymmetrisch wichtige Rolle. Jüngstes Beispiel sind absurd anmutende Debatten, ob schon die Einführung von türkischem oder arabischem Sprachunterricht an deutschen Schulen einer Radikalisierung von Muslimen Vorschub leisten könnte.

Natürlich gehört es zu den Aufgaben der hier lebenden und arbeitenden Muslime, sich als aktiver Teil der Gesellschaft einzusetzen. Die Muslime müssen kritisch hinterfragen, ob sie in Teilen, ob bewusst oder nicht, dem Bild Vorschub leisten, ein Teil anderer Gesellschaften zu sein. Es gibt durchaus eine „iden­ti­täre“ Bewegung innerhalb der muslimischen Gemeinde, die hier kulturelles ­Anpassungsvermögen mit der Aufgabe von verbindlichen Glaubensinhalten verwechselt. Stimmen wie die des amerikanischen Gelehrten Dr. Umar Faruq Abd-Allah sind hierzulande eher selten. Auf einem Vortrag in Köln formulierte er den Auftrag: „Ihr müsst eine Kultur ­stiften in dem Land, in dem ihr lebt. Es ist ein großer Irrtum, wenn ihr glaubt, ihr könntet euch als Muslime behaupten, indem ihr das Migrantendasein ewig ­aufrechterhaltet.“

Es könnte eine weitere Pointe innerhalb der Diskussion über die künftige Rolle der Muslime sein, wenn man aus den Fehlern des anderen großen Integrationsprojektes der letzten Jahrzehnte, der Einbindung der Ostdeutschen, lernen würde. Offensichtlich hat man bereits ganze Teile der Bevölkerung verloren, weil man pauschal den kulturellen und sozialen Beitrag der ostdeutschen Lebenswirklichkeit verleugnet hat. Viele Muslime fühlen sich nun ebenso zurückgestoßen, als sei die Bedingung für eine Teilhabe, alle eigenen kulturellen Besonderheiten ablegen zu müssen.

Fakt ist, dass es Diskurse gibt, die Zeit brauchen. Wir Muslime werden etwas Geduld aufbringen müssen, bis die Gestalt des Islam in Deutschland unvoreingenommener wahrgenommen werden kann. Bisher ist die Frage noch zu sehr mit den Assoziationsfeldern des „Terrors“ und der „Immigration“ verknüpft. Gutwillige werden aber immerhin zugestehen, dass ein breiter gesellschaftlicher Konsens zwischen Muslimen und Nichtmuslimen besteht, dass Terror und innere Immigration niemals akzeptierter Teil Deutschlands werden sollten. Jetzt gilt es, den positiven Beitrag der Muslime weiter auszuformulieren.