Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Notwendiger Streit

Denken lebt auch vom konstruktiven Streit. Es gibt Debatten, die wirklich wichtig sind, weil man nur mit ihnen das Wesen der Zeit, in die man hereingeworfen wurde, verstehen kann. Nur wenn man seine Zeit versteht, also in unserem Falle begreift, dass wir in einem von Ökonomie geprägten Zeitalter leben, kann man den wichtigen Dingen im Islam entsprechende Priorität geben. Die ökonomischen Gesetzlichkeiten, die der Islam offenbart, betreffen nicht nur das Individuum, sondern das komplexe Netz, das alle unseren ökonomischen Transaktionen bilden.

Die überfällige Auseinandersetzung der Muslime um den Sinn von „islamischen“ Banken ist ein überaus lohnender Streit. Es geht um Machtfragen und unser elementares Verständnis dessen, woran Muslime heute glauben. Keine Frage, die spannende Kontroverse über das Wesen der „islamischen“ Bank, muss zunächst in den größeren Kontext und in die Denkwelt des politischen Islam eingeordnet werden.

Wir leben wie gesagt im Zeitalter der Ökonomie. Beinahe ein Jahrhundert lang war aber die Frage nach dem Islam in erster Linie verknüpft mit der Diskussion über die diversen Erscheinungen des politischen Islam.

Politischer Islam, insbesondere in seinen Ausprägungen im arabischen Raum, hat sich zunächst als ein Impuls gegen den westlichen Imperialismus verstanden. Der Westen als Schöpfungsort moderner Technologie und Wissenschaft schien in der historischen Perspektive als „Moderne“ der islamischen Lebenspraxis und seinen Traditionen haushoch überlegen.

Flugs wurden in einer „islamischen“ Gegenbewegung die wichtigsten Speerspitzen der Modernisierung aus dem Westen identifiziert.

Der Schrecken über die brutale Ankunft der Moderne wich bald einer Faszination über die neuen Techniken, die sich als neue Hilfsmittel der politischen Macht anboten. Es ging nun darum, diesen Vorsprung durch Technik einzuholen, die Mobilisierungskraft von menschlichem Willen zu kopieren, die neuen Kampftechniken nachzuahmen, in die Beherrschung der Atome einzusteigen und mit der industriellen Produktion von Geld Schritt zu halten.

Der politische Islam organisierte die Ziele des vermeintlichen Gegenschlags, also die eigene Rückgewinnung von Macht, in Form von „islamischen“ Techniken, sei es Parteien, Atomwaffen oder Banken. Diese neuen – islamisierten – Kopien schienen den alten Originalen überlegen, ermöglichten scheinbar die schnelle eigene Machtergreifung. In seiner ideologisierten und totalitären Form überstimmte der politische Islam und seine Reformen sogar bald die hinderlichen, alten Begrenzungen des islamischen Rechts. Je moderner der politische Islam wurde, desto ferner war merkwürdigerweise die politische Macht.

Es ist elementar wichtig zu verstehen, dass mit der Idee des Modernismus auch eine schleichende Säkularisierung des Denkens einherging. Was ist und wer hat Macht? Die Vorstellung, dass Macht etwas sei, das der Mensch für sich gewinnen und organisieren kann, passte sich dabei eher unbemerkt der westlichen Vorstellungswelt von Macht an. Die „Modernisierung“ des islamischen Denkens nahm seinen Lauf. Es ist interessant, dass praktisch zu gleicher Zeit im Westen unter dem Eindruck des Unwesens der Ideologien und ihrer technologischen Kriege eine fundamentale Technikkritik einsetzte. Heidegger formulierte einen grundsätzlichen, schockierenden Zweifel über die Basis moderner Politik.

Die Technik, die der politische Islam für seine Zwecke einsetzen wollte, habe – so Heidegger – eine dem Grunde nach politikfeindliche Dimension, indem sie den Menschen gerade nicht ermächtige, sondern auf Dauer versklave. Die Finanztechnik, als das einheitliche Wirken von Kapital und Technik, beschleunigte unter den Augen der westlichen Intelligenz, bis zum heutigen Stadium, diesen Vorgang der unheimlichen Entpolitisierung. Es ist kein Wunder, dass unzählige westliche Denker die Humanität des Bankwesens längst anzweifeln, während große Teile der islamischen Welt noch immer die angeblichen Segnungen des „Islamic Banking“ diskutieren. Die Frage, die sich nun stellt, ist die Folgende: kann eine Bank überhaupt „islamisch“ sein?

Jede „islamische Bank“ nimmt als Bank am globalen Geldsystem teil. Das monetäre System beruht auf dem Recht, dass einzelne Zentralbanken praktisch grenzenlos „Geld aus dem Nichts“ schöpfen können. Der Willen zur globalen politischen Macht benötigt natürlich das Vermögen zur Schaffung endlosen Kapitals. Grundbedingung ist hierfür, dass die Produktion von (inflationärem) Papiergeld nicht an den Besitz realer Güter gekoppelt bleibt. Die „islamische“ Bank versucht nun in dieses System einen moralischen Impuls einzuhauchen. Hierzu muss sie die Debatte von der (inflationären) Natur des Geldes, das sie wie jede andere Bank benutzt, weg lenken. Die Frage, ob das Geld an sich moralisch, „gut oder schlecht“, sein kann, spielt für die „Islamische“ Bank und ihre Theoretiker (übrigens auch für viele muslimische Puritaner) keine Rolle.

Im arabischen Raum besteht zudem das interessante Paradox, dass viele muslimische Gelehrte im Tauschgeschäft zwischen Öl und Papier keinen Widerspruch für das koranische Gebot des „gerechten Handels“ entdecken wollen. Die Entfremdung des Sinnes islamischer Verträge und die Aushebelung des Zinsverbotes, die das „islamische“ Bankenmodell leider auszeichnet, wäre ein Thema für einen anderen Tag.

Die letzte Frage an den Islam ist, ob er ein Modell birgt, das eine Antwort „jetzt“, ohne die sinnlose Romantik eines „zurück“, ermöglicht. Um dies herauszufinden, bedarf es des Studiums des ganzen islamischen Modells der Ökonomie. Man wird bald feststellen, dass die Lehrer, die über dieses, ehemals klassische Repertoire verfügen, dünn gesät sind. Die meisten Lehrer, gerade im akademischen Betrieb, verfolgen in erster Linie den öffentlichen Nachweis, zu welcher Form des politischen Islam sie sich zugehörig fühlen. Hier schließt sich dann der Kreis.