Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Orte

Die Reise nach Mekka und Medina prägt jedes Jahr Millionen von Muslimen. Die Überwindung des Nationalismus und damit des Rassismus ist auf der Pilgerreise kein theoretisches Konzept, sondern existenziell erfahrene Wirklichkeit vor dem Schöpfer. Der Ritus ist an sich zeitlos. Obwohl jeder seine eigene Hajj vollzieht und erlebt, genauso wie der Tod jeden nur alleine angeht, lässt sich das Geheimnis der Schöpfung nur im gemeinsamen Handeln entschlüsseln. Der Islam verlegt das spirituelle Zentrum des Menschen nicht nur in sein Inneres, sondern, wie auf der Pilgerreise sichtbar, in den innen und äußeren Erfahrungsort des Mit-einander-seins. So geht man auf die Reise als Spanier, Deutscher oder Türke und kommt als Muslim zurück. Goethes Idee vom Weltbürgertum verkörpert sich so in der praktischen Lebenserfahrung der Pilger aus aller Welt. Als Einheit von Ortung und göttlicher Ordnung vollzieht sich im zeitlosen Ritus die Einheit selbst.

Der Nihilismus setzt sich gegen diese Einheit ab, indem er die Trennung von Ortung und Ordnung vollzieht. Das geschieht auf zweifache Weise, so in der Etablierung von gesetzlosen Orten wie Guantanamo, also einer Ortung ohne Ordnung, oder aber – wie im Internet – als Ordnung ohne Ortung. Die Einheit der technologischen Welt etabliert so die allgemeine Heimatlosigkeit, den Verlust des Nahen und des Fremden. Die Globalisierung ebnet, beinahe nebenbei, die kulturellen Unterschiede und Errungenschaften von Jahrhunderten ein: „Statt tausend neuer Eindrücke ein Eindruck tausend Mal“.

Der Mensch wird in der modernen Biopolitik auf das Leben reduziert, sogar auf den Körper, wenn er, wie im Lager, nur noch Mensch und kein Bürger mehr ist. Als „nacktes Leben“ hat er eigentlich nichts mehr als seinen Körper. Die Pilger in Mekka sind keine Bürger und besitzen nichts mehr außer den beiden Teilen eines Tuches, sie sind aber als Pilger in ihrer höchsten Bestimmung und Verortung angekommen. Als wahrhaft Reisende haben sie nichts mehr außer Allah.

Als Ort ist Medina für den Islam von größter Wichtigkeit und im übertragenen Sinne die Heimat des Islam. Die offenbarten Gesetzlichkeiten von Schöpfung, Mensch und Welt finden dort ihr menschliches Maß. Im Leben des Propheten mäßigt sich die offenbarte Lebenspraxis in der Gemeinschaft, in den Ausnahmen und im Umfeld der Charaktere, die eine Gemeinschaft immer ausmachen. Der Prophet selbst schafft die zwei entscheidenden und grundlegende Orte islamischer Existenz: Moschee und Markt, die spirituelle und materielle Verortung der islamischen Lebenspraxis. Beide Orte sind nicht nur frei und für jeden zugänglich, sondern an jedem Ort, wo der Islam ankommt, die Impulsgeber islamischen Lebens.