Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Recht

Recht, Gewalt und Moral. Die neue Weltordnung der USA unterscheidet nur noch zwischen Gut und Böse / Von Erhard Denninger Der Verfassungsrechtler Erhard Denninger beklagt, dass sich Recht und Gewalt immer weiter voneinander entfernten. Die seit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1648) geltende Friedensordnung, die sich über das Recht definierte, gelte nicht mehr. Stattdessen etabliere sich eine „Weltgewaltordnung“ einer einzelnen Macht.

Stärke und Macht (ap) Als sich im Frühjahr 2003 eine militärische Intervention der Vereinigten Staaten von Amerika samt der von ihnen geführten „Koalition der Willigen“ im Irak abzeichnete, erreichte die seit langem schwelende Diskussion über die Rolle der Vereinten Nationen und ihre notwendige Reform als Instrument der internationalen Friedens- und Völkerrechtsordnung einen neuen Höhepunkt. So klar einerseits eine tiefgreifende Reform der mit der UN-Charta von 1945 geschaffenen institutionellen Ordnung erforderlich erschien, so unzweifelhaft erschien auch die Notwendigkeit, an dem damals formulierten grundlegenden Ziel der Organisation festzuhalten, nämlich „Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen“. ( Art. 1 , Nr. 1 UN-Charta).

Vollkommen eingesponnen in Probleme und Kategorien des staatlichen und internationalen Rechts, traute ich deshalb meinen Augen kaum, als ich unmittelbar nach Kriegsausbruch eine Schlagzeile der Neuen Zürcher Zeitung wahrnahm: „Auf dem Weg zu einer Weltgewaltordnung“. Weltgewaltordnung, nicht Weltrechtsordnung, stand da. Und: „Ohne eine Hegemonialmacht kann es keinen Weltfrieden geben“. Frieden und Friedenssicherung also durch Gewalt, nicht durch Recht ?

Das neue strategische Konzept

Ich verstärkte meine Beobachtungen und konnte bald feststellen, dass das uralte Thema des Verhältnisses von Recht und Gewalt auf ganz verschiedenen Feldern eine neue Bedeutung gewonnen hat. (…)

FR online exklusiv In der Netzausgabe der Frankfurter Rundschau finden Sie exklusiv auch die ungekürzte Fassung dieser Dokumentation. Das erste Beispiel entstammt dem Völkerrecht, das seit der Kosovo-Intervention, dem Afghanistan-Einsatz und dem Irak-Krieg eine Fülle höchst streitiger Probleme präsentiert. Schon im April 1999, also lange vor dem 11. September 2001, verkündeten die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten ein „Neues Strategisches Konzept“, dessen hervorstechendes Merkmal die Entschlossenheit zur frühzeitigen, präventiven Krisenbewältigung war.

Der ursprüngliche Nato-Vertrag vom 4. April 1949 war als klassisches Verteidigungsbündnis konzipiert: Ein „bewaffneter Angriff“ auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten löste die Bündnisverpflichtung aus, Art. 5. Die Maßnahmen wurden ausdrücklich in den Rahmen des von der UN-Charta, Art.51, garantierten „Rechtes zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ gestellt. Dem Sicherheitsrat war Mitteilung zu machen; sobald dieser die notwendigen Schritte zur Wiederherstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit unternommen hätte, wären die Nato-Maßnahmen einzustellen. Auch in räumlicher Hinsicht gab es eine leidlich scharfe Begrenzung, (Art. 6): Der bewaffnete Angriff musste auf das Gebiet eines Mitgliedsstaates in Europa oder Nordamerika erfolgen; Inseln, Schiffe und Flugzeuge im nordatlantischen Raum „nördlich des Wendekreises des Krebses“ wurden ausdrücklich einbezogen.

In der Washingtoner Erklärung von 1999 liest sich das alles anders. Jetzt soll nicht ein „bewaffneter Angriff“ abgewartet, sondern eine möglichst frühzeitige „Krisenbewältigung“ erreicht werden. Zwar ist von Krisen-Reaktion die Rede, aber die ein Eingreifen möglicherweise auslösenden Krisen und Risiken sind außerordentlich weit umschrieben. „Ungewissheit und Instabilität im und um den euroatlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses“ fallen darunter. Die Sicherheitsinteressen der Nato werden nicht mehr nur durch militärische bewaffnete Konflikte berührt, vielmehr auch von „anderen Risiken umfassenderer Natur“ einschließlich Terrorakten, Sabotagehandlungen, organisiertem Verbrechen oder der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen (Nr. 24).

Die nachwestfälische Konzeption

Vergleicht man die alte, sozusagen noch „westfälische“, mit der neuen „nachwestfälischen“ Bündniskonzeption, so kann man Folgendes festhalten:

1)Zunächst ein Wort zur merkwürdig anmutenden (aber mittlerweile international gebräuchlichen) Terminologie: Sie knüpft an den territorialstaatlich geprägten Souveränitätsbegriff an, wie er seit dem Westfälischen Frieden 1648 für drei Jahrhunderte die internationalen Beziehungen und das Völkerrechts-Denken beherrscht hat. Höhe- und Kulminationspunkt dieser Epoche des internationalen Rechts ist die Charta der Vereinten Nationen mit ihren Grundsätzen

– der souveränen Gleichheit aller Mitglieder, wobei die Völkerrechtssubjektivität im wesentlichen nur Staaten zukommt; – des Gewaltverbotes ( mit Ausnahme eben des Rechts zur Selbstverteidigung); – sowie des Interventionsverbotes (Gebotes der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten).

Das Völkerrecht dieser Epoche ist universalistisch, heute sagt man auch: multilateralistisch, es ist konsensorientiert und kommunikativ: Es verpflichtet die Parteien einer internationalen Streitigkeit, sich „zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl“ zu bemühen, Art. 33 Abs. 1 UN-Charta. Das internationale Recht kann so und soll seine Rolle als „Gentle Civilizer of Nations“ (als freundlich-sanfter Zivilisierer der Nationen) wahrnehmen. (…)

Erhard Denninger (Privat) + Erhard Denninger (Privat) Auch das Grundgesetz spiegelt diesen Entwicklungsstand des Völkerrechts wider, wenn es einerseits den „Angriffskrieg“ verbietet und seine Pönalisierung fordert (Art. 26 Abs. 1 GG), und andererseits den „Verteidigungsfall“ ( in Art. 115 a) als Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt definiert.

2) In der „nachwestfälischen“ Perspektive des internationalen Rechts, die spätestens seit dem Kosovokonflikt auch das europäische Bewusstsein erreicht hat, erleiden diese tragenden Grundsätze des „klassischen“ Völkerrechts folgenreiche Relativierungen. Das „Interventionsverbot“ musste einer Rechtfertigung aus Gründen „humanitärer Intervention“ weichen, einer menschenrechtlich begründeten „Nothilfeaktion“, weshalb man vielfach gar nicht von einem regulären „Krieg“, sondern nur von „Luftschlägen“ im Rahmen einer „Militäraktion“ sprechen wollte. Und das Gewaltverbot, verstanden als Beschränkung der Zulässigkeit der Verteidigung auf Abwehr von Angriffen auf das eigene Territorium, wurde gegenüber der Bekämpfung eines drohenden und schon in Ausführung begriffenen Verbrechens des Völkermords zurückgesetzt.

3)Was in dem „Neuen Strategischen Konzept“ der Nato mit der praktisch weltweit einsetzbaren Krisenreaktionsstrategie vorgezeichnet wird, nämlich die Entterritorialisierung und zugleich begrifflich-tatbestandliche Entgrenzung der Zulässigkeit der Anwendung von Waffengewalt in internationalen Konflikten, kommt in der nach den Terrorakten vom 11. September 2001 und schon im Hinblick auf den geplanten Irak-Krieg mit dem Dokument vom 17. September 2002 verkündeten „National Security Strategy“ der USA voll zur Entfaltung.

Militärische Überlegenheit

Diese neue Sicherheitsstrategie ist durch die folgenden Momente gekennzeichnet:

(1) Nur eine permanente, unanfechtbare militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten von Amerika kann den Weltfrieden dauerhaft sichern. (2) Der Einsatz bewaffneter Gewalt muss zeitlich und räumlich unbegrenzt möglich, aber auch legitimierbar sein. (3) Er sei insbesondere legitimierbar als Gewalt gegen so genannte „Schurkenstaaten“, „rouge States“, welche zusammen die „Achse des Bösen“ bilden. (Irak, Iran, Nordkorea werden hierzu gezählt.) Schon die bloße Vermutung, dass ein solcher Staat im Besitz von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen sein könnte oder an ihrer Herstellung arbeitet, soll einen präventiven Erstschlag, einen Angriff mit Waffengewalt rechtfertigen. Dabei ist in den Verlautbarungen der so genannten Bush-Doktrin von der „preemptive self defense“ die Rede, wodurch der Eindruck erweckt wird, es handele sich um die „zuvorkommende“ Abwehr unmittelbar bevorstehender feindlicher Angriffe. Solche „preemptive measures“ sollen nach Auffassung einiger Völkerrechtler sogar mit dem in Art. 51 UN-Charta garantierten, „naturgegebenen“ Recht der Selbstverteidigung noch in Einklang stehen. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung der Waffentechnik, auch der so genannten konventionellen Waffen, so wird gesagt, sei es unrealistisch und keinem Staat zuzumuten, dass er die Zerstörungen durch einen feindlichen Erstschlag hinnehmen müsse, bevor er sich seinerseits mit Waffengewalt zur Wehr setzen dürfe. Es liegt auf der Hand, dass sich bei hochgerüsteten oder im Rüstungswettlauf gegeneinander stehenden Staaten kaum eine begriffliche Grenze darüber ausmachen lässt, wo die noch zulässige „preemptive“ Selbstverteidigung verläuft und wo der völkerrechtswidrige „bewaffnete Angriff“ beginnt. Tatsächlich folgt die offizielle amerikanische Sicherheitspolitik, worauf mehrfach, u.a. auch von Jimmy Carter aufmerksam gemacht wurde, auch gar nicht dem engeren Konzept der „Präemption“, sondern dem viel weiteren, noch weniger bestimmten und begrenzbaren der „Prävention“, wie es auch in der neuen Aufgabenbeschreibung der Nato als frühzeitige Krisenreaktion zu Ausdruck kommt.

Eigenes Recht anmaßen

Der Autor Prof. Dr. Erhard Denninger war bis 1999 Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Johann- Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er gilt als einer der Väter des Hessischen Universitätsgesetzes, war Rektor der Universität Frankfurt (1970/71) und Abteilungsleiter für Wissenschaft und Kunst im Hessischen Kultusministerium (1973/74). Der Jurist ist vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein gefragter Experte u. a. im Rundfunkrecht, Hochschulrecht und Abtreibungsrecht. Den in Auszügen dokumentierten Vortrag hielt der Autor Anfang Juni auf dem „Königsteiner Forum“. Die Ver- anstaltungsreihe steht in diesem Jahr unter der Überschrift: „Ist Deutschland zukunftsfähig?“; Gastgeberin ist die Königsteiner Volksbank. Die komplette Fassung des Textes ist im Internet zu finden unter: www.fr-aktuell.de/doku ber Diese Notwendigkeit einer präventiven, vorbeugenden Verteidigung aus eigenem Recht, das heißt, auch ohne Auftrag des Sicherheitsrates, bildet den Kern der Begründung für den Irak-Krieg, die Präsident George W. Bush, am Vorabend des Kriegsbeginns im März 2003 verkündete. „The United States of America“, heißt es da, „has the sovereign authority to use force in assuring ist own national security“. Der präventive Charakter sofortigen Eingreifens wird mit den größeren Risiken längeren Zuwartens begründet: „In one year, or five years, the power of Iraq to inflict harm on all free nations would be multiplied many times over…Responding to such enemies only after they have struck first is not self-defense, it is suicide.“ Die maßgebliche Risiko-Prognose kann sich also über ein Jahr, ja über fünf Jahre erstrecken. Für diese US-amerikanische Position kann es auf die berühmten 45 Minuten bis zum befürchteten, möglichen Schlag mit Massenvernichtungswaffen, auf die Tony Blair bei seinem Rechtfertigungsversuch abstellte, überhaupt nicht ankommen.

Das Sicherheitsbedürfnis, die Bedrohungsintensität und die Angriffswahrscheinlichkeit sind nicht die einzigen Faktoren, welche die Verteidigungsstrategie steuern und zugleich rechtfertigen sollen. Hinzu kommt ihre Einbettung in ein moralisches Programm, welches den Handelnden innere Festigkeit und nach außen Überzeugungskraft verleihen soll. Man kann sogar die These wagen, dass die moralische Selbstsicherheit um so größer sein muss, je geringer die Bedrohungsgewissheit ist und je schwächer damit die herkömmliche völkerrechtliche Rechtfertigung eines präventiven Waffeneinsatzes ausfallen muss. Oder anders gewendet: Je stärker die eigene moralische Überlegenheit über den Gegner, den Feind angesetzt wird, desto geringere Anforderungen werden an die Rechtsgründe für die Befreiung vom allgemeinen Gewaltverbot gestellt. Nach dieser Logik dürften „absolute“ Schurkenstaaten, die in ihrer bloßen Existenz schlechthin das Böse verkörpern und damit eine Bedrohung für die friedlichen Nachbarn darstellen, eigentlich jederzeit präventiv angegriffen werden. Ein entsprechend weit gefasstes Verständnis von „Prävention“, verbunden mit der militärischen Überlegenheit zu ihrer Durchsetzung und verknüpft mit der moralischen Gewissheit, dass die eigene Sache die Sache des Guten ist, lässt das rechtliche Gewaltverbot, lässt überhaupt alle rechtlichen Regeln zur Eindämmung internationaler Gewaltanwendung leer laufen.

Die Welt teilen

Ein solcher moralisch abgestützter machtrealistischer Unilateralismus tendiert dazu, die ganze Welt moralisch binär zu codieren, und er entwickelt entsprechend missionarische Züge. Entweder man bekennt sich zur Sache des „Guten“ oder man gehört schon zur Seite des „Bösen“; es gibt keinen Pluralismus der Gerechtigkeitskonzeptionen, auch keinen „überlappenden Konsens“. John Rawls, der die Frage nach den Grenzen der Toleranz gegenüber nichtliberalen Gesellschaften auslotet, meint: „Natürlich können tyrannische und diktatorische Regime nicht als ordentliche Mitglieder einer vernünftigen Völkergemeinschaft anerkannt werden.“ (…)

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