Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Roger Willemsens „Unverkäufliche Muster. Gesammelte Glossen“

Was sagen über das im September 2005 veröffentlichte Buch eines Mannes, dem man – angesichts seiner überlegenen, wunderschönen deutschen Sprache – hilflos das Etikett „Sprachakrobat“ verleiht und darüber leicht den leidenschaftlichen Kämpfer gegen die Menschenschande der Folter vergisst. Aber Schubladen sollen immer das handhabbar machen, was uns übertrifft oder gar aufrufenden Charakter hat.

Diese Sammlung von Kurztexten der vergangenen 15 Jahre erinnern an ein besseres, gerechteres Leben, das möglich zu sein scheint. Der agile Autor spannt einen raumgreifenden Bogen von Dolly Buster und Trapattonis Ekstase über Konsumterror bis wir-als-Folterhelfer und Klonen. Über die senile Unbehaglichkeit angesichts des Klonschafs Dolly heißt es: „Denn jetzt plötzlich sah sich der Einzelmensch in seiner Einzigartigkeit und Individualität gefährdet. Die Millionen, die jeden Morgen in einer Hordenbewegung in ihren massenverbreiteten Fahrzeugen in die Massentierhaltung ihrer Maloche kriechen und am Abend in einer riesigen Massenchoreographie vor dem Fernseher zusammenbrechen, um sich Menschen anzusehen, die sich alle so ähnlich sein müssen, wie man sein kann, wenn man nicht von derselben Mutter stammt, diese Millionen sehen sich plötzlich in der Einzigartigkeit ihrer Lebensführung gefährdet und sie wehrten den Anfängen einer gewissermaßen hochgerüsteten Uniformierung des Homo sapiens, dem menschenverachtenden Klonen.“

Man lese seinen Text „Identisch praktisch deutsch“, der sich der deutschen Lieblingsfrage „Was ist meine nationale Identität?“ widmet und beobachte atemlos diesen Versuch einer Notoperation an sich/uns selbst mit zugegebenermaßen ungewissem Ausgang. Man lese In Stahlgewittern und Kriegstagebuch und erkenne erst recht das Ausmaß der um sich greifenden Lähmung angesichts der vermeintlichen Machtdemonstration der Konzerne und ihres tumben Weltpolizisten. Nicht viele Zeitgenossen haben noch die geistigen Mittel deprimierende Zeiterscheinungen wie Harald Schmidt, das Nachrichtenmagazin Der SPIEGEL und die Springerpresse auf ihr Normalmaß zurückzustutzen.

Was also sagen über dieses fast 500 Seiten starke Buch eines Mannes, der vielleicht der hellste zeitgenössische Geist der deutschen Sprache ist? Was sagen, was nicht schon im Klappen- und Einführungstext auf den Punkt gebracht wurde? Hier sei tatsächlich der Topos der Unsagbarkeit gewagt, denn Willemsens Sprache ist virtuose Musik; ihr Einfühlungsvermögen, ihre analytische Präzision und Menschenfreundlichkeit, das Miteinander von seliger Komödie und analytisch durchdrungener Tragödie vermitteln dem Leser eine Art mozart’schen Rausch und damit immer auch Zuversicht: Es steht schlimm und Schlimmeres bahnt sich an; aber solange wir den Stern in uns bewachen, dürfen wir hoffen. Auch Willemsen scheint zur Spezies der „letzten schönen Sternentiere“ (Blixa Bargeld) zu gehören. „Halt mich fest, halt mich fest!“ (Besprechung von Ahmad Gross, Potsdam)

Roger Willemsen Unverkäufliche Muster. Gesammelte Glossen Fischer Taschenbuch Verlag Preis: 9,90 Euros