Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Schröders Vision

«Russland wird zunehmend nicht Teil der Lösung, sondern Teil der Probleme, die wir haben.» (E. von Klaeden, CDU)

Es ist immer wieder erstaunlich, wie bestimmte geschichtliche Ereignisse völlig neue Denkräume eröffnen. Der Konflikt in Georgien hat die geistige Landschaft nicht unerheblich verändert. Die Phase des „Kampfes gegen den Terror“ wirkt schon ein wenig wie von Gestern. Parteiungen und Medien sind gleichermaßen unfähig, neue Entwicklungen „unparteiisch“ zu würdigen und versuchen, das Ereignis ihren Vorstellungen von Wirklichkeit unterzuordnen.

Eklatant sind die dabei auftretenden Widersprüche. Bundeskanzlerin Merkel empfängt den Dalai Lama und spricht über universelle Werte. Bundeskanzlerin Merkel trifft Saakaschwili, der im Verdacht steht, einen Angriffskrieg mit tausenden toten Zivilisten angezettelt zu haben und verspricht Solidarität. Selbstredend wird es zu keiner unabhängigen Untersuchung der Vorfälle kommen.

Die Verdammung Russlands fällt jedenfalls schwer. Zu frisch sind die Erinnerungen an die „Unverhältnismäßigkeiten“, den „Bruch des Völkerrrechts“ und die „Verletzung der territorialen Integrität“ im „Kampf gegen den Terror“. Der Westen ist bereits – Russland spielt dies clever aus, genau wie es Jürgen Todenhöfer vorausgesagt hat – an diesen Widersprüchen gescheitert. Die Junge Welt schreibt hierzu:

Und auch wenn das Aufstellen doppelter Standards für den Westen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, würde ein allzu lautes Lamentieren über russische Völkerrechtsverletzungen in Transkaukasien Fragen nach der völkerrechtlichen Legitimität der westliche Interventionspolitik auf dem Balkan aufwerfen, die der Westen besser nicht gestellt wissen will. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Motor der Empörung über den »brutalen russischen Überfall auf ein kleines Nachbarland« nur stotternd in Gang kommt. Auf eine einseitige Schuldzuweisung in Richtung Moskau will sich außer US-Neocons und französischen »neuen Philosophen« ohnehin niemand so richtig festlegen. (Junge Welt vom 18.8.2008)

Weitsicht beweisen des öfteren „pensionierte“ Politiker wie der ehemalige Bundeskanzler Schröder. Der Unterschied zwischen ihm und der Kanzlerin ist, dass er nicht nur Mehrheitsmeinungen ausspricht, sondern solche Meinungen auch mit seinem politischen Gespür bildet. Schröder hat frühzeitig gesehen, dass Russland der eigentliche Gewinner des Kalten Krieges werden könnte. Amerika hat den Dollar – Russland das Öl und Gas. Schröders Vision einer abgestimmten deutsch-russischen Strategie hat insofern Kraft.

Schröder hat auch in einer anderen Frage Gespür bewiesen. Nachdem der ehemalige KGB-Agent Putin zunächst belächelt wurde, hat der Bundeskanzler sofort die politische Brillanz Putins erkannt. Putin, der am Grab Solschenyzins Blumen niederlegte, setzt nicht nur den Bruch mit dem Kommunismus fort, er hat auch einen der Exzesse des Kapitalismus korrigiert. In einer waghalsigen Aktion hat er den Einfluß des Staates auf die Energieressorucen des Landes wiederhergestellt.

In diesem Kontext wird klar, dass große geschichtliche Fragestellungen sich langfristig vorbereiten, manchmal ohne dass es die Öffentlichkeit bemerkt. Die subversiven Attacken auf Kurt Beck, der über Nacht durch neo-liberale Medien ins Visier genommen wurde, haben das strategische Ziel, in Deutschland eine linke Mehrheit mit der SPD zu verhindern. Diese Mehrheit wäre nicht nur unbequemer für das Kapital, sie würde auch außenpolitisch eine stärkere Annäherung an Russland ermöglichen.

Es wundert nicht, dass der Altkanzler wegen seiner Äußerungen über den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili heute in der Kritik steht. Schröder hat den heißblütigen Saakaschwili im „Spiegel“ als „Hasardeur“ bezeichnet. „Auslösendes Moment“ der Kampfhandlungen im Kaukasus – so Schröder trocken – sei der dumme Einmarsch der Georgier nach Südossetien gewesen.

Die Reaktionen waren Teil eines antiquierten dialektischen Spiels. Der absolut unerfahrene außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden (CDU), Miglied bei der Atlantik-Brücke e.V., kritisierte den Altkanzler forsch. «Die Schuldzuweisungen Schröders waren vorherzusehen», sagte er der „Passauer Neuen Presse“. „Schröder ist mittlerweile die prominenteste Stimme Moskaus in Deutschland.“ Banal sind auch die Unterstellungen, die Verbindung Schröders mit der russischen Gazprom wären Ausdruck finanzieller Interessen. Dies klingt wie Hohn aus dem Mund „konservativer Amigos“. Auf Telepolis schreibt Hermann Ploppa über den sagenumwobenen „Klub der weisen Männer“:

In Rundfunk und Fernsehen treten immer wieder die „gleichen Verdächtigen“ auf, die uns einschärfen, zu einem engen Bündnis zu den USA gäbe es keine Alternative. Wir erfahren die Namen dieser „Experten“ und ihren politischen oder wissenschaftlichen Rang. Aber jenes Kriterium, warum Hans Ulrich Klose, von Kläden, Özdemir, Lambsdorff (Vater und Sohn), Münkler, Lepenies, und wie sie alle heißen, so auffällig oft befragt werden, bleibt im Verborgenen. Sie alle sind nämlich Mitglied eines hocheffizienten Netzwerks. Sie sind Teil einer „transatlantischen Community“. Und alle Wege der Atlantik-Bücke, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik oder auch der Blogger-Gruppe „Achse des Guten“ weisen konzentrisch auf das Netzwerk der Netzwerke – den Council on Foreign Relations in New York. Diesem auserlesenen Klub gehören einige tausend Personen aus den obersten Etagen der US-Gesellschaft, sowie als korporative Mitglieder, die größten Konzerne und Finanzgruppen der Welt an.“