Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Straßburg und das Kopftuch

„Das strenge Eingreifen der türkischen Regierung an den Universitäten, gekoppelt mit einem strikten Kopftuchverbot für Studenten und Dozenten, unterdrückt die akademische Freiheit“ (Report der Human Rights Watch)

„Das Kopftuchverbot an türkischen Hochschulen verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit“ – so jedenfalls urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und wies am Dienstag die entsprechende Klage einer muslimischen Medizinstudentin zurück. Die Frau war 1998 von der Universität Istanbul ausgeschlossen worden, nachdem sie sich geweigert hatte, das Kopftuchverbot an der Hochschule zu akzeptieren. Zwar räumten die Straßburger Richter immerhin ein, dass die Klägerin durch das Verbot daran gehindert werde, ihre Religiosität zu zeigen, das Recht der öffentlichen Ordnung und der Freiheit Dritter müsse aber höher bewertet werden. Zudem sei das Kopftuchverbot nach Meinung der Straßburger Richter verfassungskonform und diene dem Schutz des demokratisch-weltlichen Systems und der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Türkei.

Soweit das Gericht. Ich erinnere mich an einen Besuch des Gerichts mit den Muslim Lawyers in Straßburg. Beim anschließenden Gespräch mit den Richtern waren unsere muslimischen Anwältinnen überrascht, wie wenig die Richter vom Islam wussten. Ist dies heute anders? Ich jedenfalls habe einige der Frauen, die von der Universität geworfen worden sind, in der Türkei getroffen und habe ihren Mut in dieser Sache immer wieder bewundert. „Fundamentalistisch“ waren sie jedenfalls in keiner Weise. Vielmehr wollten sie gerade ein Zeichen setzen, dass muslimische Frauen nicht nur mitreden, sondern auch mitbestimmen wollen. Sie taten dies in einer Atmosphäre, wo jede Kritik am „weltlichen“, vor allem militätischen System der Türkei gefährlich war und Europa jahrzehntelang keinerlei demokratischen Druck auf ihre NATO-Verbündeten ausgeübt hatte. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung Erdogan bald die de-facto-Berufsverbote für muslimische Frauen aufhebt. Im Übrigen war und ist das „demokratisch-weltliche“ System der Türkei weniger durch bunte Tücher gefährdet, als durch antiquierte Generäle, Nationalisten und mafios-kapitalistische Strukturen.