Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

„Teil der ­muslimischen ­Zivilgesellschaft“

Foto: IZ Medien

Im Juni 1995 machte sich eine Handvoll junger, deutscher Muslime daran, ein kleines Blatt für das Gespräch mit ihrem weiteren Umfeld zu produzieren. Auch wenn mancher nun etwas anderes macht, hätte sich das Team der ersten Stunde wohl kaum vorstellen können, dass die Druckerpressen auch heute noch laufen.

Im Gespräch mit dem Herausgeber der Zeitung, Abu Bakr Rieger, gehen wir der Frage nach, wie „Aktualität“ eines muslimischen Mediums aussehen kann, was relevante Themen sind, wie sich ein freies Medium produzieren lässt und wer eigentlich hinter dem Team steht.

Islamische Zeitung: Wie kam es zur Gründung der „Islamischen Zeitung“?

Abu Bakr Rieger: Wir hatten Mitte der 1990er Jahre in Weimar das Gefühl, dass es zu wenig authentische Informationen über den Islam gibt. Wir erkannten hier eine Herausforderung: Ist es möglich, die eigene Entscheidung für den Islam einem breiteren Publikum verständlich zu machen, gar seine Faszination glaubwürdig zu kommunizieren? Der Name „Islamische Zeitung“ war eher ein Zufallsprodukt. Uns fiel schlicht nichts Besseres ein. Natürlich dürfte klar sein, dass ein Medium niemals beanspruchen kann, den Islam wirklich umfassend darzustellen.

Islamische Zeitung: Was waren und sind Ihre thematischen Schwerpunkte?

Abu Bakr Rieger: Von Beginn an ging es zunächst darum, aus unserer eigenen Position heraus – der malikitischen Rechtsschule, der Ascha’ri-‚Aqida und dem Tasawwuf von Imam Dschunaid – den Pluralismus der islamischen Bildungswege abzubilden. Suspekt waren von Anfang an dabei nur Extreme – esoterische, salafistische und modernistische Positionen. Wir waren überzeugt, dass Muslime, die über eine islamische Bildung im Sinne einer der anerkannten Rechtsschulen verfügen, konstruktive Mitglieder der Gesellschaft sein werden. Wir interessierten uns des Weiteren dafür, den Islam hier und jetzt zu deuten. Das reichte von der Bedeutung des islamischen Wirtschaftsrechts, der gesellschaftlichen Rolle der Muslime in Deutschland, bis hin zur Figur eines Goethe als einer möglichen Brücke zum Islam hin.

Islamische Zeitung: Veränderte sich seit der Gründung die Atmosphäre in Deutschland?

Abu Bakr Rieger: Nun, in den 1990er Jahren wurde der Islam ja kaum ernst genommen. Deutsche Muslime galten möglicherweise als Sonderlinge, aber nicht als „gefährlich“. Muslime in Europa waren Opfer, keine Täter. Geprägt wurde die Zeit von einem europäischen Krieg in Bosnien, der schockierte. Er führte jedoch auf muslimischer Seite, was oft vergessen wird, in Deutschland zu keinerlei Radikalisierung. Ich erinnere mich noch gut an unsere eher hilflosen Versuche in Weimar, Öffentlichkeit für das Schicksal der bosnischen Muslime zu organisieren. Der Bosnienkrieg und seine humanen Katastrophen gingen in dieser Zeit an Teilen der deutschen Gesellschaft vorbei. Leider.

Islamische Zeitung: Sie bezeichneten den 11. September des Öfteren als eine Art Zeitenwende. Warum?

Abu Bakr Rieger: Natürlich waren die Attentate für uns ein Schock. Es war sofort klar, dass der Druck auf die Muslime in Deutschland zunehmen wird. Während in den Jahren zuvor das Interesse am Islam überschaubar blieb, wurde es jetzt zum heißen Thema der Tagespolitik. Wir nahmen das Ereignis genau genommen als Anlass, unsere Arbeit – obwohl im bescheidenen Rahmen – zu professionalisieren. Wir gründeten eine unabhängige GmbH in Berlin.

In der Sache mussten wir allerdings keinerlei Zugeständnisse machen. Unsere anti-salafistische Position war bekannt. Als Jurist war ich immer ein Gegner der Akzeptanz von Selbstmordattentaten. Wir mussten trotz allem zur Kenntnis nehmen, dass islamophobe Kritiker ohne jeden Skrupel bereit waren, unser Medium in groben Assoziationsketten mit dem „Terror“ zu assoziieren. Diese bedenkliche Klimaverschärfung wirkt bis heute nach.

Islamische Zeitung: Inwiefern hat sich das Medienprojekt seit der Gründung organisatorisch verändert?

Abu Bakr Rieger: Die Basis der IZ ist noch immer die GmbH, die wir allerdings gerne in eine Stiftung verwandeln möchten. Wir sind darüber hinaus völlig unabhängig vom Einfluss Dritter. Ökonomisch ist die Zeitung als Nischenprodukt nur schwer am Markt zu halten. Wir müssen diesen Nachteil mit einer anderen Energie auffangen.

So sind wir zum Beispiel stolz, dass hunderte unterschiedliche Autoren unentgeltlich für die IZ schreiben. Das sind Muslime, die den inner-islamischen Pluralismus ganz gut abbilden. Wir denken dabei nicht in den politischen Kategorien von liberal-konservativ, vielmehr interessiert uns die Offenheit, möglichst viele Aspekte des Islam abzubilden. Man kann, glaube ich, mit Recht sagen, dass unsere Publikation ein multiethnisches Projekt in deutscher Sprache ist. Entgegen des öffentlichen Eindrucks über das Leben der Muslime spielen bei uns viele Frauen in Beiträgen, Themenwahl und Strategie eine entscheidende Rolle.

Uns freut ebenfalls besonders, dass viele Abonnenten der IZ keine Muslime sind. In der Reihe „Begegnungen“ suchen wir aktiv den Kontakt mit nichtmuslimischen Persönlichkeiten.

Islamische Zeitung: Wie sieht das Team aus, dass die Zeitung eigentlich produziert?

Abu Bakr Rieger: Es ist mir beinahe peinlich zu sagen…wir sind als Team natürlich viel zu klein. Wir können uns für Redaktion, Herstellung und Vertrieb nur 3 Festangestellte leisten. Unser Medium kompensiert diesen Mangel mit Einsatz und vielen ehrenamtlichen Kräften. Außerdem haben wir das Glück, einen Chefredakteur zu besitzen, der organisatorische Mängel immer wieder mit Brillanz und Kommunikationstalent ausgleicht. Aber, die islamische Zeitung war nie ein ökonomisches Projekt, sondern entspricht eher dem Idealismus der Weimarer Gründungszeit. Das ist die Absicht, die Muslime in Deutschland als eine positive Bereicherung für unser Land darzustellen. Dieses Vorhaben ist nicht leichter geworden, aber es macht noch immer große Freude.

Islamische Zeitung: Wie würden Sie die IZ in der muslimischen Community verorten?

Abu Bakr Rieger: Wir sehen uns als Teil der islamischen Zivilgesellschaft. Wir sammeln muslimische Stimmen, die hier leben und einen Beitrag leisten wollen. Sie verkörpern eine positive Grundhaltung. Wir halten gleichzeitig eine kritische, aber als konstruktiv zu verstehende Distanz zu den muslimischen Verbänden. Diese sind zweifellos Teil der Realität der Muslime in Deutschland und leisten an vielen Stellen, was wir immer anerkennen, wichtige Arbeit.

Andererseits interessierten sich diese Verbände leider nie für den Aufbau von Stiftungen, NGOs oder unabhängigen Medien. Aus Sicht der Verbände wird diese wünschenswerte Zusammenarbeit wohl leider als Machtverlust interpretiert. Die „Islamische Zeitung“ trägt inzwischen eine breite Basisbewegung, da­runter auch viele Jugendliche, die in Deutschland angekommen sind. Sie haben mit der Vereinsmeierei alter Tage nur begrenzt zu tun. Uns interessieren darüber hinaus Ansätze, welche die ­ethnische Aufteilung der Muslime in Deutschland endlich überwinden wollen. Der Islam ist für uns eine Lebenspraxis, die keiner bestimmten Kultur oder Nation zuzuordnen ist.

Islamische Zeitung: Was sind die ­aktuellen Themen der „Islamischen Zeitung“?

Abu Bakr Rieger: Wir gehen nach wie vor davon aus, das wir in einer von ökonomischen Fragen dominierten Zeit leben. Zweifellos hat uns die Entwicklung der Finanzkrise darin bestätigt, dass gerade die Themen Ökonomie und Freiheit zu den Herausforderungen des 21. Jahrhundert gehören werden.

Einen der dümmlichsten Artikel, den ich übrigens je über die IZ lesen musste, firmierte vor einigen Jahren unter der ignoranten Überschrift „Djihad gegen die Marktwirtschaft“. Das Gegenteil ist wahr. Wir haben von Beginn an, seit den 1990er Jahren, die Rolle der Monopole bei der Zerstörung der Märkte vorausgesehen. Unser Einsatz ist für die Marktwirtschaft, für einen gemäßigten Kapitalismus, für freien Wettbewerb – auch der Zahlungsmittel.

Islamische Zeitung: Häufig do­minieren Begriffe wie „Sicherheit“ und „Terrorismus“ die öffentliche Debatte. Wie bewerten Sie die Rolle des letzteren Phänomens?

Abu Bakr Rieger: Tragischerweise wurde die positive Wahrnehmung islamisches Wirtschaftsrechts, das im Rahmen der Finanzkrise publik wurde, erneut von der Terror-Frage abgelöst. Ich bin der Meinung, dass der Begriff eines „islamischen“ Terrorismus denkunmöglich ist. Es gibt natürlich muslimische Terroristen, die durchaus gefährlich sind und die der Rechtsstaat mit allen Mitteln und mit Unterstützung der Muslime zu verfolgen hat.

Die Sozialisierung, die religiöse Prägung dieser Leute am Rande der ­Gesellschaft – und noch mehr, am Rande der muslimischen Gemeinschaft – wird ja längst von Fachleuten besser dokumentiert.

Viele Experten beginnen andererseits, auch den pauschalen und unbestimmten Begriff des „Islamismus“ zu hinterfragen. Geschichtlich ist es aber nicht der Terrorismus, sondern die Finanz- und Sicherheitstechnik, welche die Kernsubstanz westlicher Demokratien bedroht.

Islamische Zeitung: Ist der politische Islam am Ende?

Abu Bakr Rieger: Ich denke, dass die Politisierung des Islam dem Phänomen nicht gerecht wird. Der Islam schränkt in seinem Wirtschaftsrecht, in seinem Stiftungsrecht und in seinem sozialen Gefüge überhaupt den politischen Einfluss ein.

Der moderne politische Islam löste diese Balance zu Gunsten der Idee des so genannten islamischen Staates auf. Die Mäßigung des islamischen Wirtschaftsrechts schien dem politischen Islam nicht zeitgemäß. Ihre Staatsidee ist überwiegend eine Kopie des westlichen Nationalstaates mit Alkoholverbot. In der Macht über den Staat und die Vollendung der eigenen Machtsteigerung sieht der politische Islam sein Ziel. Naturgemäß gerät er gerade dadurch im Zeitalter der Auflösung von Nationalstaaten in eine tiefe Sinnkrise. Man sieht Vertreter dieser Bewegung heute zunehmend ratlos, als wüssten sie nicht mehr, wo die Macht zu Hause ist.

Islamische Zeitung: Welche Position nimmt die „Islamische Zeitung“ bei der Israelkritk ein?

Abu Bakr Rieger: Seit Gründung der „Islamischen Zeitung“ verstanden wir uns in erster Linie als eine Hamas-kritische Publikation. Die IZ akzeptierte zum Beispiel nie den Einsatz von Selbstmordattentätern. Diese Position hat uns harte innermuslimische Kritik eingebracht, weil sie als Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern der – unbestritten unverhältnismäßigen – israelischen Kriegsführung gegen Palästina interpretiert wurde.
Heute scheinen Nationalstaaten im Nahen Osten generell nicht mehr in der Lage, Minderheiten Schutz zu gewähren. Das ist angesichts der vorbildlichen Tradition des islamischen Nomos absurd. Fakt ist auch, dass eine Zeitung in Deutschland, angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten, keine Organisation positiv begleiten kann, die die Vernichtung Israels zum Ziel hat.

Islamische Zeitung: Erfährt Ihr ­Medienprojekt, nach nunmehr 20 Jahren Existenz, inzwischen auch eine Art Anerkennung?

Abu Bakr Rieger: Ja, und nein. Ja, weil die muslimischen und nichtmuslimischen LeserInnen uns immer die Treue halten, unsere Freunde in den sozialen Medien ebenso im aktiven Austausch mit uns sind. Wir freuen uns hier über eine hohe Wertschätzung unserer Arbeit.
Nein, auf der anderen Seite, wenn man an das offizielle Deutschland denkt. Das mag an dem kleinen Kartell der „Panikmacher“ liegen, die mit negativer Intention rund um die Zeitungsmacher eine Menge trüben Assoziationsmüll zusammenhäuften. Bisher hat keine Stiftung, keine offizielle Stelle die Zeitung aktiv angesprochen oder überhaupt in irgendeiner Weise sinnvoll gewürdigt.

Ich sehe diesen Umstand als Teil einer dramatischen Fehlberatung von politischen Parteien in Deutschland. Das macht aber nichts, da die Ferne vom Protokoll ja auch eine Form der geistigen Freiheit bedeuten kann.

Islamische Zeitung: Lieber Abu Bakr Rieger, wir bedanken uns für das Gespräch.