Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Ukraine und der Info-Krieg

Valery: «Die Ereignisse sind nur Schaum auf den Wellen der Dinge.» (Foto: Lizenz CCL 3.0)

«Die Ereignisse sind nur Schaum auf den Wellen der Dinge», hat Paul Valery einmal formuliert. Mit anderen Worten: Es ist immer wieder nötig, den Überblick zu wahren und nicht zu nah an die «Historie» heranzurücken. Im Falle der Ukraine, die uns ins diesen Tagen beschäftigt, gilt dieser Grundsatz allemal, vor allem wenn wir reflexartig aus einem Berg von Information, Propaganda und Meinungen die eine, «letzte» Wahrheit definieren wollen.

Natürlich gibt es auch Einsichten, die nicht zur Disposition stehen: Jedem Denkenden sollte klar sein, dass die Fragen nach der Krise des Parlamentarismus, nach dem Sinn von Nationen oder dem Einfluss des Kapitals auf die Meinungsbildung auch nach den jüngsten Ereignissen auf dem Maidan-Platz gestellt werden müssen. Die Schüsse in den Rücken auf Demonstranten und Polizisten rufen nach einer unabhängigen Untersuchung.

Um sich den geschichtlichen Zusammenhängen zu nähern bedarf es aber mehr, als nur «Partei» zu sein. Es war Goethe, der hierzu zeitlose Einsichten formuliert: «Geschichte schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bei dem redlichen Vorsatz kommt man in die Gefahr, unredlich zu sein, ja, wer eine solche Darstellung unternimmt, erklärt im voraus, daß er manches ins Licht, manches in den Schatten rücken wird.»

Die in eifrige Worte gefasste Dialektik USA gegen Russland sollte nicht zu dem Glauben verführen, hier stünden zwei grundsätzlich verschiedenartige Gesellschaftsmodelle zur Disposition. Die Rolle von Geheimdiensten, die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes, die Freiheit der Medien, die Situation von Minderheiten und die Rolle der Notenbanken, die oligarchen Strukturen: Die Liste könnte weitergeführt werden. Sie zeigt doch eher eine Verwandtschaft, als einen Gegensatz der Systeme auf.

Natürlich verbietet sich so gesehen eine Dämonisierung Russlands oder Putins. Wer insoweit jenseits von Gut und Böse zu denken vermag, für den kann es allerdings auch keine blinde Sympathie geben. De facto verdrängen die neuen Großräume, die Chinesen, Russen oder Amerikaner bilden, gemeinsam – und gewissermaßen im Gleichschritt – die Idee der Selbstbestimmung der Nationen. Am Horizont ist eine Vereinheitlichung der Welt unter den Gesetzen der Finanztechnik, durch das Wirken aller drei Blöcke, immer noch denkbar; wenn auch, wie Ernst Jünger in seinem Buch «Der Weltstaat» andeutete, unter der Gewährung gewisser lokaler Freiheiten.

Im Grunde sehnt man sich nach einer neuen Philosophie, die die Begrenztheit des Politischen zumindest mitdenkt. Denkanstöße, die über die Parteilichkeit hinausgehen, und über die es sich wirklich zu streiten lohnt, gibt es ja. Nach Martin Heidegger zum Beispiel «sind Russland und Amerika, metaphysisch gesehen, dasselbe» (Einführung in die Metaphysik, S28). Gemeint ist wohl, dass beide Blöcke jenseits des politischen Theaters vom gleichen trostlosen Materialismus und der gleichen (Finanz-)Technik geprägt sind.

Es bleibt zu hoffen, dass auf keiner Seite die Schar junger Leute wächst, die glauben, für die alten Ideen der «Nation» sterben zu müssen. Es gibt weniger Gegensätze, als es den Anschein hat. In der Machenschaft des jeweils anderen erkennt man wie in einem Spiegel dem Grunde nach sich selbst.