Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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„Was kommt nach Wulff?“

Wie kann ein politischer Profi, der Wulff zweifellos war, so ins Messer laufen? Warum tritt nach kürzester Zeit eines zweites Staatsoberhaupt eher kleinlaut zurück? Das politische Drama um den Präsidenten begann irgendwo zwischen Provinzposse und Farce. Christian Wulff wusste spätestens seit dem Spätsommer 2011, dass einige Journalisten die Hintergründe seiner privaten Hausfinanzierung auseinandernahmen. Das berühmte «Häuschen» stand für einen Bruch in seinem Leben, er bezog es nach der Scheidung mit seiner neuen Lebensgefährtin, die neuen Schwung in seinen bisher biederen Alltag bringt.

Wulff war also nicht unvorbereitet, als die Kampagne ­gegen ihn begann. Allerdings wirkte Wulff zu keinem Zeitpunkt wirklich gut beraten. Heute wurde der Druck auf den CDU-Politiker zu stark und Wulff musste nach langen quälenden Wochen doch zurücktreten.

Allerdings, auch nach den Wochen des Dauerbeschusses auf den Präsidenten, kann man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Bundespräsident hat wohl tatsächlich keine Straftaten begangen. Vielmehr hatte er – was vielleicht schlimmer ist – seinen Ruf mit diversen Bagatellen und kleinen Ungeschicklichkeiten selbst ruiniert. Vielleicht hat er auch, man denke nur an seine Lindauer Rede, den «Euro-Enthusiasten» in den Chefetagen von Banken und Medienhäusern ein wenig auf den Schlips getreten. Beweisen lässt sich dies alles aber nicht.

Natürlich trieb die Presse, allen voran die Bild-Zeitung, ihr perfides Spiel mit dem Niedersachsen. Aber Wulff mangelte es auch – was leider keinem verborgen bleiben konnte – im rhetorischen Gefecht an Souveränität, Wortgewalt und Sprachwitz. Bis zuletzt wirkte er wie ein Sparkassendirektor, der sich in der Feuilletonschlacht mit Ernst Jünger in den Stahlgewittern des ersten Weltkriegs wähnte. Auf dem Höhepunkt der Krise schickte er zur Verteidigung der eigenen Stellung eine Freundin aus der Süßwarenbranche zu Günter Jauch ins Fernsehen, die uns immerhin zum Trost bestätigte, dass er in den Tagen auf Norderney nur Saft trank.

Mit solchen Possenspielen kam Wulff ungewollt so ­rüber, wie er wohl in die Geschichte der Bundespräsidenten eingehen wird: ein kleiner Mann, harmlos. Für uns Muslime bleibt immerhin noch eine Position im Langzeitgedächtnis: „Der Islam ist Teil Deutschlands“.

Nun muss Angela Merkel, nach dem 2. spektakulären Rücktritt eines Präsidenten in ihrer Amtszeit, einen überzeugenden Nachfolger präsentieren. Man kann nur bitten, dass sie endlich einen Mann mit einem Charakter jenseits des Parteisoldaten kürt. Für die Bewältigung der ungeheuren Herausforderungen der aktuellen Wirtschafts- und Staatskrise rund um den Euro bedarf es endlich echter Größe.

Die Bürger konstatieren schon lang genug einen Mangel an überzeugenden Persönlichkeit­en, denen sie zutrauen, ihre Interessen ehrlich zu verteidigen. Wenn wir an unser Ideal des Bundespräsidenten denken, dann wünschen wir uns dort einen unabhängigen Geist, der die schärfste Waffe des Amtes – das Recht, zu jedem Thema an jedem Ort sprechen zu können – zu schätzen weiß und sich so den Stürmen unserer Zeit entgegenstellt. Also einen Präsidenten, der sich im Kampf zwischen politischer Souveränität und ökonomischer Macht klar auf die Seite des Politischen schlägt. Ein Mann, der sich aktiv mit der größten öffentlichen Kreditkrise seit fast hundert Jahren beschäftigt und nicht schon, welche Ironie des Schicksals, am eigenen privaten Kleinkredit scheitert.

Natürlich kann ein Bundespräsident trotz fehlender faktischer Macht ein gewichtiger Faktor sein. Wulff hätte auch die Richtigen – und nicht nur ungewollt sich selbst – an den Pranger stellen können. Das Beispiel des nicht rücktrittswilligen Wulff in den letzten Wochen zeigt, dass man einen integren und selbstbewussten Präsidenten im Amt gerade nicht fremdbestimmen kann.

So wird das Volk gespannt die Suche nach einem Alliierten verfolgen; einem Hüter der Verfassung und einem Verteidiger des Gemeinwesens, der den allgemeinen Machtzerfall des Politischen zumindest rhetorisch zurückweisen kann. Wulff hat es in seiner Lindauer Rede im letzten Sommer treffend so beschrieben: «Politik darf sich nicht an Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien.»