Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

2009-11-18

Das Thema Finanzkrise löst beinahe inflationär und jeden Tag bedenkenswerte Anstöße über das menschliche Schicksal und unsere Situation aus.

„Ja, wir alle sind es, die diese Blase mit produzieren – als Teile einer Gesellschaft, die keine Phasen des Innehaltens und der Neuorientierung mehr zulässt. Die ohne ständig steigendes Sozialprodukt aus den Fugen gerät. Einer Gesellschaft, in der das Wort 'Wachstum' zur meist gebrauchten Metapher in den Reden der Politiker und Manager aufgestiegen, zu einer Art Religionsersatz geworden ist.“ (Wolfgang Kaden, SPIEGEL Online“)

Ausgangslage

Die Finanzkrise löst einen globalen Perspektivwandel aus und beendet die einseitig negative Sicht auf den Islam und die Muslime, die das Denken seit den Anschlägen vom 11.09.2001 beherrscht hat. Die Muslime lösen sich Langsam aus ihrer eigenen Identitätskrise, die mit der Dominanz des Politischen und der Kultur über das Recht einher ging.

Quellen

Das Verbot von Selbstmordattentaten, die Verpflichtung zur Zahlung der Zakat und das Zinsverbot („O die ihr glaubt, fürchtet Allah und lasst das sein, was an Zins(geschäften) noch übrig ist, wenn ihr gläubig seid“, 2:278) sind wichtige rechtliche Bindungen und unstrittige Handlungsanweisungen. Der Qur'an erwähnt 12 mal das Phänomen „Riba“ und erklärt sich so explizit zum ökonomischen Thema.

Debatte

Eine Debatte über das strukturelle Problem der Zinsen hat begonnen. Ablehnende Positionen berufen sich auf die Benutzung des Begriffs durch die verbrecherische NS-Ideologie oder argumentieren (EKD), das Verbot sei nicht mehr zeitgemäß.

Quellen zum Thema Zins finden sich bereits bei Aristoteles und natürlich auch im Christentum selbst. „Ein christliches Finanzsystem hält das biblische Zinsverbot ein“, erklärte beispielsweise neulich Gudula Frieling, Theologin an der TU Dortmund. „In der Bibel steht klar ein Zinsverbot“, sagt Frieling und zitiert aus dem Alten Testament: „Du sollst von deinem Bruder und deiner Schwester nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zinsen nehmen kann“ (Buch Deuteronomium 23,20).

Lebenspraxis

Die islamische Lebenspraxis basiert auf Respekt gegenüber der Schöpfung, Liebe zum Propheten, Ablehnung der Extreme und steht ideologischen Sichtweisen fremd gegenüber. In ökonomischen Dingen weist der Islam einen Mittelweg – zwischen Kapitalismus und Kommunismus.

Die Debatte über den Islam dreht sich heute jedenfalls nicht mehr allein um die – angebliche – geschichtsmächtige Symbiose der Muslime mit den modernen Ideologien, also Islamismus, Terrorismus und Puritanismus.

Islamische Ökonomie und Dialog

Mit dem Thema „islamisches Wirtschaften“ taucht plötzlich ein positive Handlungsanweisung aus dem Islam heraus auf. Bücher wie Loretta Napoleonis „Schurkenwirtschaft“, die sich mit den Jahren der Dominanz des Ökonomischen über das Politische beschäftigen, erkennen in der islamischen Ökonomie eine Alternative und eröffnen die Möglichkeit für einen Dialog zwischen Christen und Muslimen.

„Vor allem aber stellt das islamische Finanzsystem die einzige wirtschaftliche Kraft dar, die der Schurkenwirtschaft konzeptionell etwas entgegensetzt. Investitionen in Pornographie, Prostitution, Drogen, Tabak und Glücksspiel sind verboten. Wie schon gesagt wurde, gedeihen diese Bereiche seit dem Fall der Berliner Mauer unter dem gleichgültigen Blick des Marktstaates prächtig“. (Loretta Napoleoni)

Ökonomie – ein Schicksal?

Im Kern unseres Gespräches steht dabei zweifellos die Frage nach der Gerechtigkeit. Die Bedeutung von Gerechtigkeit, 'Adl auf Arabisch, leitet sich von dem balancierten aufbürden der zwei Seitentaschen eines Maultiers ab – das heißt, das Sichern der natürlichen Ausgeglichenheit in einer gegebenen Situation. Auf einer legalen Ebene ist der gerechte Mensch derjenige, der jedem der zwei gegenüberstehenden Parteien seinen passenden Anteil gewährt – natürlich innerhalb der Parameter Allahs, die sowieso der natürlichen Ausgeglichenheit entsprechen – ohne dabei seine persönliches Interesse zuviel Gewicht zu geben.

Die Aussage „Allah hat den Handel erlaubt und die Zinsnahme verboten“ (2:275) korrespondiert mit der aktuellen Lage auf dem globalisierten Markt, die dieses Gebot umdreht, also den Handel zugunsten monopolisierter Distribution quasi verbietet und gleichzeitig die Zinswirtschaft propagiert.

Aufklärung

Eine Ökonomie basierend auf Zins widerspricht auf Dauer den Gesetzen der Vernunft.

„Es wird völlig verdrängt, daß die Länder die Rezession nur mithilfe gigantischer Staatsschulden eingedämmt haben. Wenn die Defizite nicht abgebaut werden, erwächst daraus der nächste Finanzwahnsinn.“ (Claudio Cocca, Gründer und Verwaltungsratsvorsitzender des internationalen Beratungsnetzwerkes Geneva Group International)

Alle großen Rechtsbücher des Islam beschäftigen sich mit gerechtem Handel (und gerechten Verträgen, wie beispielsweise dem Qirad-Vertrag, der zwischen Investor und Empfänger Gewinn und Risiko gerecht und beidseitig teilt). Der Prophet selbst war ein Mann des Handels. Die islamische Stadt basiert auf dem Zusammenhang von Moschee und Markt.

Solidarität

Mit der Verpflichtung zur Zakatzahlung – eine Säule des Islam – ist dem Muslim und der Muslima die Solidarität zu den Armen geboten.

Die Almosen (Zakat) sind nur für die Armen, die Bedürftigen, diejenigen, die damit beschäftigt sind, diejenigen, deren Herzen vertraut gemacht werden sollen, (den Loskauf von) Sklaven, die Verschuldeten, auf Allahs Weg und (für) den Sohn des Weges, als Verpflichtung von Allah. Allah ist Allwissend und Allweise. (9:60)

Die korrekte Zakatzahlung setzt authentische Zahlungsmittel (Gold, Silber) voraus. Der Islam unterstützt eine liberale Haltung in Geldfragen, insbesondere das Recht der Bevölkerung das gewünschte Zahlungsmittel auszuwählen.

Praktisches Handeln mit Handel

Die Rückbesinnung auf das ökonomische Thema erlaubt den Muslimen, wieder in der Gesellschaft sinnstiftend zu handeln. Heute engagieren sich Muslime beispielsweise bereits in Stiftungen, auf dem Markt oder im Aufbau alternativer Währungsmodelle. Der von Muslimen organisierte islamische Markt, ist ein aktuelles, praktisches Beispiel für eine funktionierende multi-kulturelle und multi-religiöse, zwischenmenschliche Ebene in unseren Städten. Jede(r) kann mitmachen!

Finanzindustrie

Aber auch auf der Megaebene bewegt sich das große Rad der Finanzindustrie. In Deutschland hat der „offizielle“ Run auf das Geld aus dem arabischen Raum längst begonnen: „Ich sehe keinen Grund, warum Anbieter dieser Finanzprodukte keine Banklizenz von der BaFin bekommen sollten.“ (Jochen Sanio, Bafin).

Der CDU-Abgeordnete Löffler frägt inzwischen sogar im konservativen Baden-Württemberg in einer Drucksache, inwieweit die westliche Welt von den Muslimen und ihrer Scharia lernen kann. „Weltweit, so Löfflers Ausgangspunkt, boome das Geschäft mit Finanzprodukten, die mit dem islamischen Recht, der Scharia, vereinbar sind. Großbritannien und Frankreich hätten die Bedeutung dieses Segments längst erkannt, nur in Deutschland sei es noch völlig unterbewertet. Im Südwesten gebe es lediglich eine kleine Bank in Mannheim, die schariakonforme Geldanlagen vermittele. Dabei könnte der Kapitalismus à la Allah die Antwort auf die internationale Finanzkrise sein, findet der Jurist, Manager (und Katholik) Löffler. Dank der religiösen Vorgaben, die Auswüchse verhinderten, habe das islamische Finanzsystem die Turbulenzen ganz gut überstanden. (aus der Stuttgarter Zeitung-Online)

„Islamisches“ Banking muss sich allerdings der Frage stellen, ob man das Bankenwesen „moralisieren“ kann und wie man zur Schaffung von Geld aus dem Nichts steht.