Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Günther Jauch und die Technik

Bei Günther Jauch ging es gestern Abend um den Abhörskandal rund um das Handy unser Kanzlerin. Das Gespräch interessiert, dreht es sich doch – zumindest scheinbar – um die Frage nach der Technik, die unsere Philosophen in Deutschland schon länger beschäftigt.

In der Islamischen Zeitung drehen sich viele Beiträge, eigentlich seit 15 Jahren, um Fragen der Technik, insbesondere um die augenscheinlichen Probleme der Sicherheits- und Finanztechnik. Das Zusammenspiel von Offenbarung, den Gesetzlichkeiten des Maßhaltens, und die Herrschaft der Technik über unsere Zeit, ist der tiefere Zusammenhang, über den man aus unserer Sicht immer wieder neu nachdenken muss.

In Fragen der Überwachung haben wir aus muslimischer Sicht schon frühzeitig festgestellt, dass der sogenannte „Kampf gegen den Terror“ nur die Spitze einer allgemeinen Wesensveränderung des Staates ist. Wir erleben heute einen dynamischen Wandel unserer Lebensverhältnisse. Die alten Nationen lösen sich auf und – wie Agamben argumentiert – damit auch die alten Bürgerrechte. Die Rede von globalisierten Menschenrechten schafft ja – wie sich gut am Beispiel des Flüchtlings zeigt, eben keine gesicherten, neuen Rechtsverhältnisse.

Wir haben auch recht frühzeitig den Begriff der „privatisierten Geheimdienste“ eingeführt, zunächst um neue Techniken, auch gegen Andersdenkende, vorzustellen, die die „Feindbekämpfung“ aus der rein staatlichen Sphäre herausführen. In den letzten Jahren wird dabei auch deutlich, dass die „Feindbeobachtung“ zunehmend auf die Suchalgorythmen von Suchmaschinen abgestimmt wird. Der unbestimmte Begriff des „Islamisten“ und die darauf folgende strukturelle Einbettung der Markierten spricht in diesem Zusammenhang Bände. Die Verwendung von Assoziationsketten, die Gläubige mit den Abgründen von Verbrechen und Ideologie verknüpfen, sollen im Grunde bestimmte, angeblich zu erwartende Verhaltensprognosen andeuten. Natürlich sind heute schon Muslime, nicht etwa Familie Meier, die nach Mallorca fliegt, die eigentlichen Betroffenen des Überwachungswahns.

Wer schon einmal eine Webseite eines VS-Amtes besucht hat, wird auch festgestellt haben, dass eine wesentliche Daseinsberechtigung dieser Ämter seit Jahren die Abwehr von Wirtschaftsspionage ist. Geheimdienste sind so längst Teil einer um Märkte kämpfenden Ökonomie.

Kurzum, ähnlich wie bei der Finanzkrise kann das Spektakel rund um die NSA-Abhöraffäre nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Fragen sich seit dem Ende des 2. Weltkrieges jedem denkenden Menschen aufdrängen mussten. Wenn die Politik heute überrascht tut, dann kann dies nur heißen, dass sie nicht denkt.

Bei Günther Jauch beschreibt die brillante Juli Zeh die Herausforderung, vor die uns ungeheure Datenströme stellen, die wir mehr oder weniger freiwillig aus allen Lebensbereichen zu der „cloud über uns“ beitragen. In der Symbolik gelungen ist dabei eine Einblendung der Reaktion, die den Horchposten der US-Botschaft in Sichtweite zum „gläsernen Bürger“zeigt, der in endlosen Kehren über dem Reichstag kreist.

Zeh sieht zu Recht in der Technik keine Naturgewalt, die wir völlig passiv über uns ergehen lassen müssen. Ja, wir können unser Handy auch ausschalten. Nur, die eigentliche Not, die sich aus den Fragen der Technik ergibt, ist damit noch nicht vollständig beschrieben. Die Herrschaft der Technik fällt eben tragischerweise mit der Entkräftung des Politischen und mit der völligen Individualisierung des Menschen zusammen. In der Sendung zeigt sich schon, wie ernst der Bürger noch genommen wird, durch den Umstand, dass bei der inszenierten Aufregung ein ausgewiesener Hinterbänkler die Position der Regierung vertritt.

Die Frage nach der Technik ist nicht selbst etwas Technisches. Es gibt keine „technische“ Lösung im Umgang mit der ungeheuren Stellung, die die Technik heute zunehmend einnimmt. Diese Auffassung vertrat zumindest der Philosoph Martin Heidegger, der nach dem schrecklichen Wahn der Nazis und seiner zeitweiligen Parteinahme für diese Ideologie sich Mitte des letzen Jahrhunderts den Fragen der Technik zuwandte. In den 1950er Jahren hielt Heidegger einen berühmten Vortrag über die „Technik und die Kehre“. Dort heißt es zur Einführung:

„Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten, denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik“.