Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Angst und Politik

Steht Deutschland kurz vor einem Terroranschlag? Seit Jahren warnen deutsche Sicherheitsfachleute immer wieder vor „akuten“ Bedrohungslagen, fordern und fördern nebenbei den Ausbau ihres anschwellenden Sicherheitsapparates und verlangen immer wieder auch nach neuen Gesetzen. Die Frage ist also weniger, ob eine terroristische Bedrohung besteht, sondern wie man mit der, auf Dauer kaum abstreitbaren Möglichkeit, eines rechten, linken oder muslimischen Terrorismus letztendlich umgehen soll.

Fakt ist und es sei vorab gesagt: jeder Bürger und jede Bürgerin dieses Landes – und zwar völlig unabhängig von dem jeweiligen Glaubenshintergrund – ist, wenn er oder sie kann, verpflichtet, deutschen Behörden zu helfen, wenn es darum geht, die verschiedenen Formen des zynischen Terrorismus zu verhindern. In der Debatte und angesichts der in die Welt gesetzten Bedrohungsszenarien, hilft es dennoch, auch das Maß zu halten.

Der Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem, angesprochen auf die Notwendigkeit, Freiheitsrechte wegen der Terrorgefahr einzuschränken, wird im Spiegel im Sommer 2007 wie folgt zitiert: „Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland sei höher als die „Terrorismusopfer weltweit in den letzten 10 Jahren“. Dies nehme die Regierung im Interesse der Freiheit der Verkehrsteilnehmer allerdings in Kauf, ebenso wie das „Restrisiko“ einer weit höheren Anzahl von Toten bei Zwischenfällen in Atomkraftwerken.

Warnungen über den Terror fallen heute in ein gut bestelltes Feld. „So blähen zahlreiche Kommentatoren“, schreibt Peter Sloterdijk in seinem Buch „der Weltinnenraum des Kapitals“, „die Nebelwolke Al Qaida, dieses Konglomerat aus Haß, Arbeitslosigkeit und Koranzitate, zu einem Totalitarismus eigenen Stils auf, manche vermeinen sogar, darin einen Islamfaschismus zu erkennen, der imstande sei, man weiß nicht auf welche phantastische Weise, die freie Welt im ganzen zu bedrohen und ihre unverzichtbar konsumfrohe Stimmung zu trüben.“

Sloterdijk und viele Andere lassen sich – trotz der spektakulären Explosivität des Terrors – nach wie vor nicht von der stillen, ganz konkreten Gefahr für unsere Verfassung ablenken: dem globalen Bankensystem, das unser politisches System offen vor sich hertreibt.

Reden wir aber das Terror-Problem nicht klein. Fehler haben in den letzten Jahre Muslime und Sicherheitsbehörden gemacht. Jahrelang gab es keine Debatte bei den Muslimen und ihren Verbänden, ob „Selbstmordattentate“ und „Terrorismus“ im Islam, sozusagen in Ausnahmefällen, eine Rechtfertigung finden könnten. Hierzu gehört mehr als politisch korrekte Rhetorik. Studiert man die rechtliche Basis des Islam zu dem Thema in unseren Moscheen, dann kann es gar keine Sympathie oder Nähe zu ideologischen Gruppierungen geben, die die abgründigen Taktiken des Terrorismus – zwischen hier und dem Gazastreifen – politisch bejahen.

Aber auch die diversen Sicherheitsbehörden haben jahrelang dem einschlägigen Treiben, beispielsweise in Ulm, durchaus zugesehen. Das Wort „Wahabismus“ findet sich in Verfassungsschutzberichten bis 2001 praktisch nicht. Einige Jahre hat sogar ein V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, unter bis heute völlig ungeklärten Umständen, die islamistische Szene im Südwesten „angeheizt“. Warnungen vor diesen einschlägigen Ulmer Zirkeln fanden sich in den Berichten der Behörde in diesen Jahren nicht.

Wie auch immer, die Sicherheitsbehörden, die natürlich mehr wissen als wir, sehen heute Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 verstärkt im Fadenkreuz muslimischer Terroristen. Ähnlich wie in Spanien könnte versucht werden, mit Anschlägen den Ausgang der Wahl zu beeinflussen, sagte Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, dem Magazin „Focus“. Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm nannte im „Hamburger Abendblatt“ die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags „außerordentlich hoch“.

Die Erinnerung an die Horror-Bilder in Spanien machen so jedem Deutschen natürlich Angst. Nach Fromms Ansicht „belegen“ die jüngst verbreiteten Drohvideos sogar, „dass Anschläge gegen unser Land vorbereitet werden“. Das ist, bei aller berechtigten Aufregung, zunächst nicht mehr als eine These. Sicherheitsfachleute weisen zu Recht darauf hin, dass einschlägige Amateur-Videos leicht in Umlauf zu bringen sind und auch nur sehr schwer auf ihre Authentizität zu prüfen sind.

Für Fromm sind jedenfalls seine Überlegungen, dass die Terrororganisation El-Kaida auf die Bundestagswahl ziele und den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erzwingen wollen, naheliegend. Auch wenn man findet, dass die Bundeswehr am Hindukusch tatsächlich nichts zu suchen hat, hofft man, dass Fromm nicht Recht behält. Die „Erklärungen“ des deutschen „self-made-Gelehrten“ Bekkay Harrach – wie die meisten Verdächtigen schon seit Jahren dem Verfassungsschutz persönlich bekannt – in einem der Videos deuteten in diese Richtung.

Das Beispiel des sonderbaren Herrn Harrach zeigt auch, dass bei fast allen terroristischen Anschlägen oder entsprechenden Vorbereitungshandlungen in Europa – man darf durchaus sagen zum Glück – die Sicherheitsdienste mit ihren V-Leuten ziemlich nah dran waren oder sind. Wer sich eine objektive Meinung über die bekannten diversen Gefahren, bis hin zu den belegten Widersprüchen der internationalen Terrorismusjagd diverser Dienste bilden will, kommt übrigens an der Lektüre des neuesten Buchs Jürgen Elsässers über den „Terror in Europa“ nicht vorbei.


Mit Skepsis ist jedenfalls Fromms auf Muslime zielende Forderung nach „stärkerer“ Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden zu bewerten. Mit diesem Hinweis entsteht nur ein wirklich fataler und falscher Eindruck in der Öffentlichkeit. Der Fakt, dass Muslime kaum die Hotlines der Behörden benutzen, erklärt sich erfreulicherweise recht einfach und wenig verschwörungstheoretisch: Die absolute Mehrheit der Muslime in Deutschland hat keinerlei Umgang mit völlig isolierten Verrückten.

Bei aller Sorge um mögliche Anschläge, bei allem Verständnis für entsprechende Polizeimaßnahmen, die Furcht vor einem ausufernden Technologie-Sicherheitsstaat, der zunehmend gegenüber allen Bürgern mit einem Generalverdacht agiert, darf nicht einfach ausgeblendet werden. Der Soziologe Wolfgang Sofsky erinnert uns alle: „So zahlreich die Gefahren, mit denen die Menschen konfrontiert sind, so vielfältig sind die praktischen Vorkehrungen – und doch bleibt restlose Sicherheit eine Illusion“.