Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Das Dilemma der Debatten

Screenshot: Religion News Service

Es gibt wohl keine zwei Meinungen über die humanitäre Katastrophe, die wir in den letzten Jahren in Syrien verfolgen mussten: Sie ist ein trauriges Beispiel für das Versagen der internationalen Politik Frieden zu schaffen. Das Leiden der Zivilbevölkerung ist schon lange nicht mehr in Worte zu fassen. Das schließt nicht aus, dass die Bewertung des Konfliktes in seiner Entwicklung auch zu Streit führen kann. Und dass die Deutung des Ereignisses aus politischer, philosophischer oder religiöser Sicht unterschiedlich ausfallen kann.

Schaikh Hamza Yusuf wird derzeit wegen einiger Sätze aus dem Jahre 2016 massiv angegriffen. Eine seiner Kernaussagen war, dass der Umsturz eines (zweifellos) diktatorischen Regimes nicht per se religiös geboten sei. Inzwischen hat er klar gestellt, dass er damit weder Sympathie zu den Machthabern ausdrücken wollte, noch das humanitäre Opfer der syrischen Bevölkerung in Frage gestellt habe. Natürlich hat er als Muslim Empathie für das tragische Schicksal der Muslime Syriens.

Wer heute öffentlich spricht, macht auch Fehler. Wer sich vor Kritik fürchtet, muss die Öffentlichkeit meiden. Zugestanden. Der aktuelle Shitstorm gegen einen der großen Gelehrten unserer Zeit – unter Missachtung seiner beachtlichen Lebensleistung, seinem weltweiten Einsatz für eine konstruktive Debatte rund um islamische Themen – ist aus meiner Sicht dennoch erbärmlich. Konstruktive Kritik oder aber Hass beziehungsweise Häme sind verschiedene Dinge.

Natürlich ist und bleibt es auch legitim, bestimmte muslimische Ideologen – gerade die, die den militärischen Kampf gegen Unrecht in ihrem Kalkül haben – ebenso kritisch zu befragen. Zweifellos sind die Ergebnisse militärischer Operationen von Muslimen auch von ihrem Ergebnis her zu bewerten. Ziviler Widerstand gegen Unterdrückung hat viele Facetten, militanter Widerstand kann fragwürdig sein und zumindest selbstmörderische Strategien sind zu entlarven.

Mich erinnert die Debatte an die Position Goethes. Ihm wurde vorgeworfen, er sei zeitlebens auf Seiten der Macht, nicht aber auf der Seite der Armen gewesen. Goethe negierte nicht das legitime Drängen der Bevölkerung auf Veränderung, setzte hier aber auf Evolution und blieb zeitlebens skeptisch gegenüber revolutionären Bestrebungen. Man kann darüber streiten, ob Goethe Recht hatte.

Die Debatte um Schaikh Hamza Yusuf zeigt ein Dilemma: Wir führen oft keine respektvollen Debatten. Schon Schiller wusste in seinem brillanten Buch über den Dreißigjährigen Krieg, dass religiös aufgeheizte Auseinandersetzungen besonders unbarmherzig geführt werden. In unserem Kontext sollten wir uns daran erinnern, dass wir engagierte, mit Überzeugung vorgetragene Beiträge respektieren. Aber gerade bei Schicksalsfragen in Erwägung ziehen müssen, dass die andere Seite Recht haben könnte.