Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Die Affäre Wulff als Krisensymptom

Lindau am Bodensee. Provinz. Am 24. August 2011 hält Bundespräsident Wulff eine seiner guten Reden. Wulff zitiert den dritten Präsidenten der USA, Thomas Jefferson: „Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit, oder Überfluss und Knechtschaft“. Wulff erinnert am beschaulichen Bodensee an den bedenklichen Überfluss an Papiergeld, an die verbindlichen Gesetze der Knappheit, an die Notwendigkeit von Fairness. Vor den geladenen Wirtschaftsnobelpreisträgern bleibt der Präsident nicht nur allgemein oder unverbindlich, nein, er kritisiert ganz konkret die Europäische Zentralbank, die begonnen hat, massiv Staatsanleihen aufzukaufen. Das ist eine Art Insolvenzverschleppung, meint Wulff. Er wird noch konkreter: „Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um ihre Unabhängigkeit zu sichern“.

Nach dieser ausbaufähigen, wenn auch öffentlich kaum diskutierten Rede in die richtige Richtung beginnen einige Wochen später die Schicksalstage des Präsidenten. Wulff weiß längst, dass Journalisten schon länger die Hintergründe seiner privaten Hausfinanzierung auseinandernehmen. Das Haus steht für einen Bruch in seinem Leben, er bezog es nach der Scheidung mit einer neuen Lebensgefährtin, die neuen Schwung in seinen bisher biederen Alltag bringt. Wulff ist also nicht unvorbereitet, als die Kampagne gegen ihn beginnt. Er scheint sich zunächst merkwürdig sicher zu fühlen, denn er hat mächtige Freunde, auch bei den wichtigen Redaktionen in Berlin und er weiß, dass im Großen und Ganzen wenig Substanz in der Geschichte ist. Es kommt dennoch anders.

Allerdings, auch nach Wochen des Dauerbeschusses auf den Präsidenten, kann man es drehen und wenden; der Bundespräsident hat tatsächlich keine Straftaten begangen, sondern seinen Ruf, wenn auch auf einmalige Weise, wohl eher mit Bagatellen und Ungeschicklichkeiten selbst ruiniert. Nur, macht es das wirklich besser, dass der höchste Repräsentant unseres Staates an der Einordnung von einigen Lappalien scheitert? Ja, natürlich trieb die Presse und allen voran die BILD-Zeitung ihr perfides Spiel, aber, was uns leider nicht unverborgen geblieben ist, ist auch, dass in den Stunden der schwersten Krise seiner Amtszeit, es Wulff an Souveränität, Wortgewalt und Sprachwitz mangelte. Wullf fand keine Mittel, um die banalen Vorkommnisse an ihm abprellen zu lassen.

Stattdessen geriet die Affäre des ersten Mannes im Staate zur Posse. Wir sahen einen Bundespräsidenten, der sich im öffentlichen Fernsehen als „Azubi im Amte“ outet, der sich, wie einst Ernst Jünger im 1. Weltkrieg, in Stahlgewittern wähnte und zur Verteidigung der eigenen Stellung eine Freundin aus der Süßwarenbranche zu Günter Jauch ins Fernsehen schicken musste, die uns immerhin zum Troste bestätigte, dass er in den Tagen auf Norderney nur Saft trinkt. So kam Wulff ungewollt so rüber, wie er wohl tatsächlich ist: ein kleiner netter Mann. Für die Bewältigung der ungeheuren Herausforderungen, die Wulff in seiner Lindauer Rede durchaus treffend beschrieb, bedarf es aber an anderer Größe.

Warum fällt es uns eigentlich so schwer, nach diesen Skandälchen zur Tagesordnung zurückzukehren? Vermutlich weil wir in der Wulffschen Trauerkomödie ein tieferes Problem unserer durchaus ernsten politischen Lage erkennen. Wir konstatieren ja schon länger einen Mangel an Persönlichkeiten, denen wir zutrauen, unsere Interessen zu verteidigen. Nebenbei fühlen wir vielleicht auch so etwas wie Enttäuschung, wenn glänzende Paare wie die Guttenbergs oder die Wullfsche Patchwork Familie unsere Sehnsucht nach Überhöhung in dürftiger Zeit so bitterlich enttäuschen. So mussten nicht nur zwei schöne Frauen ihre Männer an kleinen Freveltaten recht kläglich scheitern sehen.

Wenn wir an unser Ideal des Bundespräsidenten denken, dann wünschen wir uns dort ja einen unabhängigen Geist, der die schärfste Waffe des Amtes, das Recht zu jedem Thema an jedem Ort sprechen zu können, zu schätzen weiß und sich so den Stürmen unserer Zeit entgegenstellt. Also einen Präsidenten, der sich im Kampf zwischen politischer Souveränität und ökonomischer Macht klar auf die Seite des Politischen schlägt. Ein Mann, der sich aktiv mit der größten öffentlichen Kreditkrise unserer Zeit beschäftigt und nicht schon, welche Ironie des Schicksals, am privaten Kleinkredit scheitert. Ein Mann schlussendlich, der besonnen und souverän wirkt, oder aber zumindest in unserem Interesse auf die Mailbox der Mächtigen schreit.

Natürlich kann ein Bundespräsident trotz fehlender faktischer Macht ein gewichtiger Faktor sein. Wir erleben es ja gerade. Niemand kann Wulff zum Rücktritt zwingen. Darin liegt eine verborgene Machtkomponente, eine dem Parteienkalkül enthobene eigenartige Stellung. Wulff könnte, wenn er wollte, auch die Richtigen, also nicht nur sich selbst, jederzeit an den Pranger stellen. Das ist das Unverzeihliche seines Scheiterns, dass er die Möglichkeit politischer Autorität in dieser Krise nachhaltig verspielt. Als republikanischer “Ersatzmonarch” könnte er gerade die unbestechliche Person im Staate sein, die nicht durch banale Eigeninteressen korrumpierbar ist. Wulff machte lieber Urlaub bei Finanzhaien.

So bleibt das Volk ratlos zurück auf der Suche nach einem Alliierten, einem Hüter der Verfassung, der den allgemeinen Machtzerfall des Politischen zumindest rhetorisch zurückweisen könnte. Wullf hat es in seiner Lindauer Rede im letzten Sommer so beschrieben: “Politik darf sich nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Ratingagenturen oder sprunghaften Medien”.