Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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Die Krise des „türkischen“ Islam

Der charismatische türkische Premierminister Tayyip Erdogan gehört wohl zu den beliebtesten Politikern in der Türkei. Sein Einfluss ist auch bei deutschen Muslimen groß. „Fast alle türkischen Vereine in Deutschland sind sich einig, dass in Deutschland die Ausgrenzung von Ausländern zunimmt“, sagte Erdogan nun der Finanical Times Deutschland (FTD) und fügte hinzu: „Ich bin sehr traurig, dass diese Ausgrenzung in dem wichtigsten Land Europas passiert, gerade zu einer Zeit, in der wir versuchen, die Kulturen zueinander zu bringen.“ Man möchte Erdogan zustimmen, es lohnt aber, die Hintergründe dabei nicht aus den Augen zu verlieren bis hin zu der hier vertretenen Überzeugung, dass der Islam Kulturen filtert und hervorbringt, selbst aber keine ist.

Erdogans Worte fallen in eine Zeit, die auch durch eine Krise des „türkisch geprägten“ Islam in Deutschland gekennzeichnet ist. Dies kann man nur verstehen, wenn man die Gründungsgeschichte der islamischen Organisationen nachvollzieht. Die Hauptziele der beiden großen Organisationen war zum Einen die Förderung, zum Anderen die Verhinderung eines politischen Islam in der Türkei. Es interessiert hier weniger, welche der beiden Strategien erfolgreicher war, als die Frage, welche Techniken sich diese Organisationen bedienten. Beide Organisationen folgten in der Umsetzung dieser Ziele gleichermaßen einem Grundsatz Nietzsches: Macht ist organisierter Wille. Die Logik ist also, wenn auch eher unbemerkt, durchaus säkular: Je mehr der Wille möglichst vieler Mitglieder zentral zusammengefasst werde, desto mehr Macht habe man – so die Vereinspolitik, die man hier und anderswo gesellschaftlich repräsentiere.

Nach der Zeitenwende des 11. September versuchen nun die türkisch geprägten Organisationen, ihre Ziele nach Deutschland umzulenken. Denn, um nochmals Nietzsche zu bemühen, dem Nihilismus zu verfallen, heißt, keine Ziele zu haben. Die Formulierung dieser „neuen“ Ziele macht einige Schwierigkeiten, denn, fallen sie zu politisch aus, dann droht Ärger mit den Behörden, fallen sie zu wenig politisch aus, kann man die Mitglieder kaum dauerhaft binden. Die öffentlich bekannten Ziele sind also vor allem die Forderung nach Religionsunterricht und Kopftuch und sind von der Sehnsucht nach Anerkennung und politischer Bedeutung geprägt, während andererseits das natürliche, weil offenbarte Ziel der Erhebung der „Zakat“ zum Beispiel kaum Erwähnung findet. Bedauerlich wäre es jedenfalls, wenn türkisch-islamische Organisationen sich tatsächlich weiter und tiefer in eine egozentrische Haltung verstricken würden. Die Belebung des Islam braucht nicht nur frische Luft, den Streit um den richtigen Weg, sondern auch eine Politik der geöffneten Türen.

Die Tradition des Islam, vor allem deren erfolgreiche soziale Wirklichkeit, kann man in Sarajevo oder Prizren studieren und bestand in der Bildung von Stiftungen, freien Märkten, sowie komplexer sozialer Anlagen (wie das alte Konzept des Imaret). Die Vereinheitlichung des politischen Willens stand hier weniger im Vordergrund. Noch heute kann jedermann diese Architektur genießen, die natürlich ohne das Erfordernis einer strukturellen „Mitgliedschaft“ dient und zusammenführt. Das Problem dabei ist aus der Sicht der Moderne politischer Natur: Dieser „alte“ Weg entzieht sich auf natürliche Weise der zentralistischen Kontrolle und autorisiert die Gemeinde vor Ort. Nach dem Islam war die, sozusagen „zivilgesellschaftliche“, Konzeption der Stiftungen nie zentral kontrollierbar, so wie die Erhebung der Zakat eigentlich ein lokales Phänomen ist. Hinzu kommt das basisdemokratische Prinzip, dass jede Gemeinde ihren Imam eigentlich selbst wählt und nicht etwa vorgesetzt bekommt und die Freitagspredigt nicht nur zugefaxt wird, sondern den lokalen Begebenheiten angepasst ist.

Ein anderer Ballast aus der Gründungszeit der Organisationen ist evident: Die „türkischen“ Organisationen sind noch immer „national orientiert“, „politisch verfasst“ und „kemalistisch geprägt“. Dieses Phänomen zeigt sich an dem antiquierten Umstand, dass die Mitgliedschaft, nach immerhin einigen Jahrzehnten, nach wie vor aus fast ausschließlich türkisch-stämmigen Muslimen besteht. Ein Beobachter hat dieses – aus islamischer Sicht – Paradox so formuliert: „Es ist für einen Türken einfacher, in Baden-Württemberg Deutscher zu werden, als für einen Deutschen, bei türkischen Organisationen aufgenommen zu werden“. Das mag übertrieben sein, kommt aber der praktischen Realität recht nah. Allerdings spüren viele junge Mitglieder, dass, wenn man in Deutschland zu Hause sein will, die Zeit der einseitig ethnisch geprägten Organisationen in Deutschland vorbei ist. Denn, so heißt es ja im deutschen Sprichwort, wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück.

Die Krise des türkisch-national geprägten Islam in Deutschland ist auch eine Krise der islamischen Lehre. Wichtige Wortmeldungen türkischer Gelehrter sind selten, wohl auch, weil sie zumeist in politische, hierarchische Strukturen eingebunden sind. Frägt man nach den Grundlagen des eigenen Islam, dann fällt auf, dass viele türkische Muslime heute im Rahmen einer verwässerten und unklaren Quellenlage zwischen Tradition und Modernismus denken. Die Folgen sind fatal. Ohne ein klare Lehre schwindet die essentiell notwendige Unterscheidungsfähigkeit der Muslime, also den Unterschied zwischen Recht, Nationalismus und Kultur zu erkennen. Gerade die unscharfe Trennlinie zwischen den Gepflogenheiten der türkischen Kultur und den Gesetzlichkeiten des Islam hat viele junge Leute, die in Deutschland leben, bereits in die Flucht getrieben. Eine Flucht, die oft mehr mit der väterlichen Kultur, der Enge des Familien- und Vereinslebens (nach Hegel die zwei Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft), als mit dem Islam des Propheten zu tun hatte.

Die Idee der Repräsentation und Politisierung der Muslime durch eine „machtorientierte“ Verbandspolitik hat auch die vielbesungene, aber selten gelebte Einheitsbewegung der Muslime beeinflusst. Einheit heißt bei dieser Denkrichtung die Einheit der Funktionäre, während die Organisationen gerade nicht vereinheitlicht und in ihrer (mit Verlaub illusorischen) Verschiedenheit gerade bestätigt werden. Die Muslime in den Moscheen bekommen von diesen Vorgängen praktisch sowieso nichts mit. Es überrascht nicht, dass diese politisch gedachte „Einheit“ stockt, da hier weniger der Dienst an den Muslimen als vielmehr die Erringung der Macht motiviert. Der türkisch geprägte Dachverband Islamrat hatte nicht einmal eine partielle Einheit vollzogen, sondern ist an diesen Widersprüchen schlicht zerbrochen.