Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Die Vorstellung des Konfliktes

Der Rückzug ins Private zeigt gerade die Macht der Öffentlichkeit. Diese Anmerkung von Martin Heidegger bestimmt auch den Ort unseres großen Schriftstellers Botho Strauß. Man braucht tatsächlich detaillierte Heimatkenntnisse, um das Nest eines der wichtigsten deutschen Schriftsteller zu orten. „Der Konflikt“, den Botho Strauß nun im SPIEGEL beschreibt, kann so wohl nur aus der Ferne beschrieben sein. Nur mühsam gelingt es dem Schriftsteller dann auch in seinem Text, eine persönliche, auf Erfahrung basierende Note einfließen zu lassen. Der Sohn, so heißt es mit einiger Distanz, sei auch schon mal als „Christenschwein“ beschimpft worden. Na immerhin ein kleines, dem Autor zugeeignetes oder auch nur erfundenes Konfliktlein. Mangels Muslimen im engeren Umfeld bleibt da auch einem Großen nur die Flimmerkiste.

Ein Blick in die Bücherliste von Martin Heidegger zeigt, dass auch große Universalgelehrte in Europa bisher ganz gut ohne Bildung in Sachen Islam auskamen. Vergebens sucht man in seiner Bibliothek nach einem Büchlein von Ibn al Arabi oder Rumi. Als Heidegger nach seiner großen Griechenlandreise von einem Freund nach Istanbul genötigt wird, entbirgt sich dort recht wenig für den Großmeister des Denkens. „Zu rational“, kanzelt Heidegger unwirsch die Moscheen und Jahrhunderte der Hochkultur ab und reist zurück in den Schwarzwald. Der koranische Fingerzeig auf das Verhältnis von Kapital und Technik, das gesellschaftliche, aristotelische Gebot, „den Handel zu erlauben, die Zinsnahme aber zu verbieten“, entscheidende Offenbarung für das moderne Denken, verstellt sich ihm ganz. Dieser Schleier bleibt bis heute unzerrissen, dieser Schleier zwischen dem denkenden Europa und dem Islam.

Immerhin, Botho Strauß lässt sich nicht von der Köterspur des Rassismus verleiten. Da ist man schon froh, denn Strauß hat ja Recht, denn bis hoch zu den diversen Kreisligen der Republik lässt sich heute ja der Kulturkampf beobachten. Da die Subjektivität als Erkenntnisverfahren heute auch bei Vergeistigten wieder hoch im Kurs steht, sei nur eines angemerkt. Auch mein Sohn, also nicht einmal „der“ Sohn, wurde auch schon von ostdeutschen Hartz IV-Empfängern in Brandenburg als „Türke“ beschimpft. Nun, es war ein Missverständnis und als Zuschauer hätte ich nicht gewagt, gleich den Untergang des Abendlandes davon abzuleiten. Der kleine Mann, Yusuf, war damals schon so deutsch, wie man es heute noch sein kann, in Weimar geboren, wo der Vater sich eine Auszeit nahm, um das Verhältnis Goethes zum Islam zu studieren.

„Wer von den Brüdern abgesondert und mit sich selbst beschäftigt ist, von ihm kommt nichts“. Dieser islamische Sinnspruch von Schaikh Ibn al Adschiba hat zeitlose Gültigkeit. Botho Strauß hat recht, wenn er die soziale Integrationskraft des Islam, als eine Kraft die nicht bezahlt werden muss, bewundert. Das könnte in Deutschland noch bedeutsam werden. Wenn Sloterdijk Recht hat und nur die kollektive, also nicht etwa die private „Askese“ eine Möglichkeit ist, der Totalität und dem Weltherrschaftsanspruch der Ökonomie zu entrinnen, dann gilt dies gerade auch für die Kulturschaffenden. Dann müsste man eben zusammenkommen, auf dem Marktplatz, wo jenseits der Spiegelungen echte Gespräche, echter Handel und Händel, Lebenskunst zwischen real Anwesenden möglich wäre. Heute herrscht aber allein die monopolisierte Distribution, auf den Märkten und in den Köpfen, einschließlich einer Meinungsfreiheit, der durch die Einschränkungen des monopolisierten Marktes und des Denkens längst enge Grenzen gesetzt sind.

Was tun wir mit unseren Söhnen, wenn die Heimat verschwinde? Ja, Botho Strauß hat Recht, wir wünschen ihnen, unseren Söhnen, geistige Unterscheidungskraft, Schönheitsverlangen, die Prägung durch Goethe und Schiller, Weltbürgertum und Tellscher Freiheitsdrang, das Vermögen, auch mit dem Herzen sehen zu können. Nur, gehen wir mit gutem Beispiel voran? Halten wir noch eine Fahne hin, der man folgen könnte? Auch ich, Herr Strauß, hätte eine schöne Stelle im Schwarzwald gewußt, nur aufgehalten von der schmerzlichen Erfahrung, dass es dort längst nicht mehr heimatlich genug ist. Heimat ist, wo Miteinandersein möglich ist. Der entscheidende Mangel in dem Straußschen Text ist genau dies, er zeigt nichts auf, was die griechische Einheit von Handeln und Wissen, gemeinsamer sozialer Erfahrung wieder ermöglichen könnte. Ganz zu schweigen von der verblassten Idee der Gerechtigkeit, die unserer Kultur so dringlich fehlt und die das Elixier des politischen Dichters, der politischen Bewegung sein sollte. Strauß ist – mit Verlaub – nicht ganz zufällig allein.

Eine der wegweisenden Begegnungen für mich war, kurz bevor ich Muslim wurde, die Begegnung mit Ernst Jünger in Bilbao. Nicht, dass der Autor des abenteuerlichen Herzens von mir kleinem Geist wirklich einzuordnen gewesen wäre. Was ich vor mir sah, war ein alter Mann, dem die Erfahrung die Aura eines scheuen Rehs verliehen hatte, weil ihn wohl etwas anblickte, was über ihn und uns hinauszugehen schien. Jünger wurde hart angegangen, journalistisch befragt und antwortete desöfteren, zu meiner Verwunderung und mit der ihm wohl eigenen erfrischenden Unfähigkeit zur Dialektik, auch auf herbe Attacken mit „Wenn Sie meinen, ja gut“. Von dieser Souveränität und Haltung kann man auch heute als Muslim lernen.

Zwei der Jüngerschen Aussagen blieben mir unvergessen: „Die alten Werte sind nicht mehr gültig, die Neuen sind noch nicht da“ und „man kann mir nicht folgen, ich bin ein Ende, kein Beginn“. Nun hat ja Jünger, wie konnte er anders, den modernen Islam der Parteiungen den Titanen zugeordnet, den Propheten selbst aber in höchsten Ehren gehalten. Nach diesem Hinweis, vom deutschen Dichter zum Letzten der Propheten, nahm ich dann andere Witterung auf. Die Welt ist nichts anderes als ein Spiegel.

Ich kann verstehen, dass es für Fernsehzuschauer heute naheliegt, den Islam als Kultur oder abgründige Ideologie wahrzunehmen. Dieser Eindruck wird auch nicht viel besser, wenn Terroristen, die gestern noch Schulbusse in die Luft jagten, bald zu liebenswürdigen Gesprächspartnern unserer Politiker mutieren. Man wird also aufstehen müssen und hingehen, um den Islam, um den es mir geht, auf den Marktplätzen Marrokkos oder in den Tekken Sarajevos oder Istanbuls aufzuspüren. Es wirbt für den Islam die faszinierende Einheit von göttlicher Ordnung und Ortung, die uns allen als menschliche Weltgemeinde, auf der Pilgerreise nach Mekka und Madina, sei es als Bild, sei es als Erfahrung, friedlich begegnet. Hier, im Kern des Rätsels, das uns ja auch geistig stimulieren kann, helfen weder Bilder noch Vorstellungen. Man wird auch neu denken müssen, um Nietzsches Postulat, dass der christliche Gott tot sei, als Vorbedingung für das eigentliche Verstehen des Glaubensbekenntnisses des Islam zu begreifen.