Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Erdogan und die Bilanz des Politischen

„Die Bilanz des Politischen Islam ist schlecht“ heißt es heute in einem interessanten Kommentar im Tagesspiegel. „Nirgendwo auf der Welt hat der politische Islam bisher belegt, dass er für offene Gesellschaften und stabile demokratische Verhältnisse sorgen kann“ schreibt Martin Gehlen und man will ihm kaum widersprechen.

Zumindest in den zwei wichtigen islamischen Ländern Türkei und Ägypten, geben die aktuellen Verhältnisse, zwischen möglichem Bürgerkrieg und Diktatur, tatsächlich wenig Grund zum Enthusiasmus. Schon aus historischer Erfahrung heraus wird man auch kaum Parteien begrüßen wollen, die sich als „Bewegung“ wichtiger nehmen als Gemeinwesen und Recht. Ist der politische Islam also eine Sackgasse? Hierzu muss man zunächst die Rolle des Politischen selbst in seiner Zeit bedenken.

Zweifellos ist die „Conditio humaine“ angesichts der politischen Großwetterlage von einer gewissen Ohnmacht geprägt. Macht, die einst alleine Nationen, Parteien oder Politikern zugebilligt wurde, hat sich längst in das ökonomische Feld verschoben. Dort gibt es nun neue Akteure, Fonds, Medien, Banken oder Monopole aller Art, die den Einfluss des Politischen, zumindest auf die ökonomisch relevanten Entscheidungen zurückdrängen.

Der politische Islam setzt bisher weiter auf einen starken Staat, der – zumindest in der Theorie – die neuen ökonomischen Techniken einfach für sich nutzt. Die Möglichkeit, dass diese Techniken den Staat inhaltlich neutralisieren und in die globale Finanztechnik integrieren wird nicht weiter bedacht. Der Zusammenhang zwischen Geld- und Finanzpolitik wird geflissentlich ignoriert. Die sympathische Idee einer echten freien und offenen Marktwirtschaft, die sich unter Anderem aus dem islamischen Wirtschaftsrecht ergeben könnte, bleibt dagegen ausgespart.

Das aktuelle Dilemma des türkischen MP Erdogan passt – trotz seiner Verdienste – in diese Historie. Die Tageszeitung definiert die Agenda der AK-Partei als „Turbokapitalismus“ mit islamischem Antlitz. „Mit seiner Mischung aus Fortschrittsgläubigkeit und autoritärem Auftreten erinnert Erdogan immer mehr an einen konservativen Politiker in Europa aus der Zeit der Wirtschaftswunderjahre“ heißt es weiter.

Fakt ist auch, das Zeitalter starker Staaten und starker Staatsmänner ist vorbei. Es gibt entsprechend kaum mehr eine echte Wahl. Der Druck der Straße und der Druck des Geldes lassen nur wenig Optionen, die aus der Sackgasse führen, offen. Zwischen dem (hoffentlich) befriedeten, rhetorischen „Bürgerkrieg“ einer pluralistischen Gesellschaft und dem enormen Veränderungsdruck auf diese Gesellschaft, den eine globale Finanztechnik mit ihrem ultimativen Ziel der Konsumgesellschaft erwirkt, ist die Einheit des Staates Utopie und das Politische naturgemäß stetig auf dem Rückzug.

Politik wird zum Theater „großer Männer“. Die Entscheidung, insbesondere die Wirtschaftspolitik, machen nun nicht mehr nur Politiker, sondern die Vertreter der Märkte selbst, die gleichzeitig von internationalen Monopolen beherrscht werden. Der neue Deal wird mit Korruption versüßt.

Ohne die Rückbesinnung auf das ökonomische Modell, das der Islam ja in sich birgt, gibt es weder Alternativen noch einen Ausweg aus dieser Sackgasse.