Diese Woche findet in Weimar eine Veranstaltung der Goethe-Gesellschaft, über „Goethe und die Weltreligionen“ statt. Nevad Kermani hat dabei die Ehre, den Hauptvortrag zu halten. Der Titel klingt mit „Gottes Atem. Goethes Religionen” allerdings recht unverbindlich. Mehr noch: Schon der Begriff der „Religion“ – und dazu auch noch im Plural verwendet – könnte darauf hinweisen, dass auch für Kermani Goethes Denken in größtmöglicher Unverbindlichkeit – will heißen, in absoluter Folgenlosigkeit – endet. Man täuscht sich natürlich gerne und hoffentlich wird das gute Stück Kermanis bald veröffentlicht, sodass man Genaueres erfährt.
Die Verwissenschaftlichung des Werkes unseres Jahrhundertgenies ist nichts anderes als die Einteilung seines Denkens, Wirkens und Schaffens in „Bezirke“ – sei es Religion, Wissenschaft oder Politik –, die dann leider oft völlig zusammenhangslos seziert werden. Die Flut der Meinungen über die diversen Gegenstände des Goetheschen Denkens lässt dann jede echte, verbindende Quintessenz unmöglich erscheinen.
Hier passt eine Maxime des Meisters selbst, die – mit Verlaub – über den rein akademischen Anspruch seines Denkens und Wirkens hinausweist: „Es ist nicht genug zu wissen – man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun.“
Goethes Anspruch der Einheit von Handeln und Wissen, Glauben und Praxis gerät heute – im Zeitalter der Spezialisierung – gewissermaßen naturgemäß schnell in den Hintergrund und die wahrhaft „gefährliche Begegnung“ mit dem Werk wird damit gerne entschärft. Heute sind es Muslime, die zum Beispiel Goethes Eintreten für ein Geld, das einen innewohnenden Wert hat, und seine Warnung im Faust vor dem Unwesen der „Papiergeldwährung“ ohne Widerspruch in eine alltägliche Lebenspraxis einbetten können. Wer kann heute noch eine Welt ohne Finanztechnologie und ohne Vergötterung der Banken überhaupt noch für möglich halten, ohne auf größte Spiritualität und Glaubenskraft zurückgreifen zu können?
Schon vorab hat der Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft nur eine einzige These – die Annahme Goethe sei sogar ein Muslim gewesen – mit erstaunlichem Ernst bereits vorab – gewissermaßen per „Ordre de Mufti“ – kategorisch verneinen müssen. Kein Zufall. „Der deutsche Nationaldichter, gar ein Muslim?“ – so etwas darf man im elitären Kreis in Weimar schon aus politischer Korrektheit nicht ernsthaft oder ergebnisoffen diskutieren.
Wie immer man übrigens zum Formalismus dieser Frage steht: Als wissenschaftliches Faktum darf man doch wohl zumindest annehmen, dass Goethe kein Christ war. Warum hätte er sich sonst jegliche christliche Symbolik bei der eigenen Trauerfeier verbeten? Goethe hat den Islam nicht toleriert, sondern mindestens respektiert.