Das aufgeklärte Europa steht heute verwundert vor einem Glaubenskrieg um seine künftige ökonomische Ordnung. Das Finanzsystem zeigt sich dabei in seiner ganzen unheilvollen Dynamik zwischen wundersamer Geldvermehrung (QE, quantative easing) und wundersamer Schuldverminderung (Inflation) als zutiefst irrational. Das kleine Griechenland dürfte zwar eigentlich nur ein kleiner Dominostein im Weltwirtschaftssystem sein, muss aber dennoch um jeden Preis mit massiver Intervention vor seinem Sturz bewahrt werden.
Egal ob man für den Grexit ist oder nicht, Fakt ist: Die Eurogruppen-Logik verändert schon heute endgültig und für Generationen die Idee von demokratischen Staaten und der Souveränität. Nebenbei bemerkt zeigt sich hier, dass nicht etwa die Hundertschaften der „Islamisten“ Europas, sondern die Schar der internationalen Finanztechniker die demokratischen Verfassungen sprengen.
Ironischerweise soll ausgerechnet das Mutterland der Demokratie künftig von Wall Street und Brüssel aus regiert werden. Europas Jugend erbt so eine Atmosphäre der demokratischen Kultur und demokratischen Rhetorik – allerdings mit immer weniger konkreten politischen Entscheidungsmöglichkeiten.
Vermutlich wäre in Sachen Griechenland tatsächlich ein Schuldenschnitt und ein anschließender Grexit die humanste Lösung. Griechenland hätte dann ohne die erdrückende Schuldenlast eine reale Chance für einen echten Neustart mit einer dezentralen Währung gehabt. Auch Experimente mit alternativen Währungen wären denkbar gewesen.
Diese Möglichkeiten echter politischer Gestaltung stehen aber offensichtlich den übergeordneten Interessen der sichtbaren und unsichtbaren Machenschaften der globalen Finanzindustrie und ihrer Monopole entgegen. Ihr Geschäft verträgt weder Maßhalten, noch Dezentralisierung oder irgendeine andere Form des Ausstiegs. Sie brauchen weiterhin die 90 Prozent aller Hilfen der europäischen Steuerzahler zur Fortführung des eigenen Pyramidenspiels.
Während die Politik sich also in zwei große Lager aufspaltet, für und gegen den Euro, sorgt man sich aus dem philosophischen Blickwinkel heraus über die sich zeigende, ungeheuere Integrationskraft der Finanztechnik. Was bedeutet sie letztlich für unsere condition humaine, unseren Begriff von Freiheit und Politik? Das Dilemma, im modernen Verhältnis von Politik und Technik wurzelnd, betrifft Befürworter und Gegner des Euros gleichermaßen:
Die Grexit-Gegner träumen nach wie vor von einem barmherzig wachsenden Sozialsystem, als idealem Ergebnis eines zentralisierten Papiergeld- und Bankensystems. Hier soll die Finanztechnik eines Tages moralisch und menschlich werden.
Die Grexit-Befürworter träumen wiederum von einem abgeschotteten, rückwärts gewandten Nationalismus. Hier soll die „Finanztechnik“ in kleinerem Maßstab gehegt und ihre globalen bösartigen Variante verdrängt werden.
Für jene, die echte Alternativen zumindest andenken möchten, stellt sich die Frage nach einem dritten Weg jenseits von Sozialismus und Nationalismus. Aber können wir uns einen Nomos jenseits des zentralisierten Papiergeldsystems und eines abgeschotteten Nationalismus überhaupt vorstellen?