Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Im SPIEGEL: die große Wahrheit

Zur Abwechslung finde ich den aktuellen Spiegel mal wieder ganz interessant. Das liegt vermutlich daran, dass er sich den – aus menschlicher Sicht – realen Ohnmachtsverhältnissen widmet. Es geht in der neuen Ausgabe um das gewaltige „Techno-Kalifat“ einer neuen Weltregierung, die das Internet als seine Art Offenbarung ansieht, und natürlich auch um die Rolle der neuen Techno-Gläubigen, den Konsumenten und einer uniformen, im App-Format strukturierten Welt.

Parallel zu lesen ist dazu das Interview mit Joseph Vogl, einem Kulturphilosophen, dem zu Beginn dieses aufregenden Jahrhunderts auffällt, dass die Notenbanken nicht demokratisch legitimiert sind und die Allianz zwischen Politik und Finanzindustrie eigentlich schon zur Entstehungsgeschichte moderner Staaten gehört. Die berühmte, in die Jahre gekommene, Definition Carl Schmitts über die politische Souveränität, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, aktualisiert Vogel angesichts der Macht der Banken wie folgt: „Souverän ist, wer die eigenen Risiken in Gefahren für andere verwandeln kann und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert.“

Auf FAZ-Online setzt sich das Thema rund um die Politik unter den Bedingungen der Finanztechnik fort. Die Technikkonzerne erläutern ihren allgemeinen Anspruch auf „Wahrheit“ und nehmen so gleichzeitig selbstbewusst ihren politischen Anspruch auf Rechtleitung der Bevölkerung wahr.

„Google verspricht also nichts weniger“, heißt es in der FAZ, ”als den Informationsgehalt der Welt künftig zuerst mathematisch nach dem Wahrheitsgehalt zu ranken – nach einem offenbar möglichst neutralen, auf empirischen Fakten basierten System.“

Das menschliche Verhalten wird zu einer statistisch berechenbaren Größe, einer Wahrscheinlichkeit. Das Wissen der Religiösen, dass das Schicksal jedes Menschen bereits geschrieben ist, bekommt hier eine andere Bedeutung.

Das Puzzle der neuen „Wahrheit“ bekommt Kontur.

Die Mehrheit definiert die Essenz von Religionen, das Identitätsmerkmal „Bürger“ wird durch die religiöse Zugehörigkeit verdrängt, angebliche Gefahrenprognosen rechtfertigen Gesetze gegen Minderheiten, Geheimdienste werten die von den Bürgern in den sozialen Medien produzierten Assoziationsketten aus, Suchmaschinen bilden Assoziationsmonster und fördern die Psychopolitik der „Breaking News“, Staatsfreunde und Staatsfeinde werden mit Algorithmen definiert und mit Kennwörtern wie „liberal“ oder „konservativ“ markiert, das mathematische kalkulierte Ranking entscheidet über die öffentliche Bedeutung.

Und, natürlich, aus den Lautsprechern: „Es sind die Muslime die, die Demokratie gefährden!“