Gerade im Spannungsfeld zwischen Terrorbekämpfung, Feindbeobachtung, Sicherheitsindustrien und Online-Journalismus zeigt sich heute ein nicht mehr aufzuhaltender Wesenswandel unserer Gesellschaft überhaupt. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Internet und die „Google“-Recherche, die die alten „Akten“ der Sicherheitsbehörden ablöst und zudem auch noch die „Überwachung aller durch alle“ ermöglicht. Natürlich ist wichtig dabei, entsprechend neue Begrifflichkeiten einzuführen, um mit der Zeit Schritt zu halten und neuartige Phänomene besser zu fassen.
Nachdem moderne Kriege bereits teilweise durch private Firmen der Sicherheitsindustrie geführt werden, ist es mehr als logisch, dass Geheimdienste teilweise oder gar die Bürgerüberwachung privatisiert werden. Diese neuartigen Einrichtungen arbeiten kosteneffizienter und sind rechtlichen Einschränkungen wie beispielsweise die Verhältnismäßigkeit, welche die Staaten noch beachten nicht mehr unterworfen. Auch können interessierte Dritte (NGO's, Stiftungen, Auslandsgeheimdienste und Wirtschaftsunternehmen) quasi-staatliche Operationen gegen potenzielle Gegner durchführen lassen.
Ein Stichwort dafür ist der „private Verfassungsschutz“. Privater Verfassungsschutz unterscheidet sich vom Journalismus, weil hier „Recherche, Ausgewogenheit und Urteilsvermögen“ keine Rolle mehr spielen. Kennzeichnend ist insoweit die absolute Einseitigkeit, da es in erster Linie darum geht, dem politischen Gegner zu schaden und mit isoliert dargestellten Tatsachen gegen ihn zu agitieren. Mit dem realen Verfassungsschutz eines Landes kann es dabei durchaus Wechselwirkungen geben, stellen doch die Onlinedienstleistungen des – manchmal als Journalismus getarnten privaten Verfassungsschutz – eine bessere und effizientere soziale Verbannung bestimmter Andersdenkenden sicher.
Ein neues Stilmittel im Internet ist der Suchmaschinenjournalismus.
Diese Spielart des Journalismus – oft auch eine Unterart des „Billigjournalismus“ – ist mit einem redaktionellen Ansatz verknüpft, der grundsätzlich nur Internetrecherche vorsieht und jeweilige reale Erfahrungen, wie mit den Zielpersonen seines Interesses, meidet oder aus Kostengründen sogar meiden muss.
In vielen Online-Redaktionen sind es zum Beispiel die „Terrorismusexperten“, die per se nicht ihre Schreibtische verlassen können und auch praktisch natürlich nicht in der Lage sind, ihre „Ergebnisse“ zu verifizieren. Es sind Journalisten, die sich „ganz alleine“ – wenn auch wenig heldenhaft – in dunklen Foren bewegen, ohne natürlich zu wissen, wer diese Foren überhaupt ins Leben gerufen hat. Dieser Typus löst den Charakter des wagemutigen Journalisten – der auch gefährliche Begegnungen für die Wahrheitssuche in Kauf nimmt, wie ihn zum Beispiel Peter Scholl-Latour noch verkörpert – ab. Immer häufiger zitieren auch „Experten“ aus Geheimdienstquellen, wobei offen bleibt, welche Gegenleistungen für exclusive Informationen fällig werden.
Eine besonderes Produkt dieses neuen Journalismus ist der Suchmaschinenartikel. Hier wird gleich der ganze Artikel auf seine Wirkung für Suchmaschinen abgestimmt. Dabei werden Vorgänge, Ereignisse oder Informationen mit möglichst wenig Mausklicks mit möglichst vielen Schlagworten verknüpft. Dabei gibt es auch eine Markierungs- und Assoziierungsfunktion, die es ermöglicht, im Grunde unbeteiligte Personen mit möglichst vielen dieser Schlagworten zu assoziieren. In letzter Zeit erscheinen auch in Verfassungsschutzberichten Artikel, die offensichtlich nicht unbedingt auf Inhalte setzen, sondern als „linguistisches Modell“ für diese Suchmaschinen optimiert wurden.
Ein weiteres Phänomen der politisch motivierten Internetrecherche ist die „Phantomfeindschaft“. Im heutigen Kölner Stadtanzeiger, geprägt von der Sorge um mögliche terroristische Anschläge, schreibt Willi Germund über einen der angeblichen Hintermänner des globalen Terrorismus. Der interessante Artikel erscheint unter dem Titel: „Kashmiri, in Wahrheit ein Phantom?“ Natürlich kann der Kölner Journalist in dem Artikel nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Existenz oder Nicht-Existenz des „Phantoms“ nicht zu beweisen ist.
Entscheidend ist dabei der folgende Satz, der unterhalb eines an den Terroristen Carlos erinnernden „Phantombildes“ des Bösewichts steht und die virtuelle Feindschaft definiert. Lakonisch heißt es dort: „Ob es Kashmiri überhaupt gibt, ist unwichtig.“ Das heißt, es geht bei der Phantomfeindschaft gar nicht mehr um die reale Person, sondern um die Schaffung eines Bildes, dem sozusagen die idealisierte wie entpersonalisierte Feindschaft entspricht.
Die Phantomfeindschaft schafft somit eine Art Prototyp des Feindes, der nun mit negativen Assoziationen beliebig aufgeladen werden kann. Es entsteht ein Feindbild.
Es gehört wohl zu den abgründigen Möglichkeiten des Internet, anhand neuer Techniken, wie die des „Privaten Verfassungsschutz“ oder des „Suchmaschinen- und Billigjournalismus“ de facto immer neue und immer mehr „Phantomfeindschaften“ zu schaffen und damit die schwierige Unterscheidung von „Freund-Feind“ überhaupt beziehungsweise von „Verfassungsfeind“ und „Andersdenkenden“ im Speziellen zu verwässern. Die Frage wäre dann, wie sich eine auf Meinungsfreiheit verpflichtete Gesellschaft gegen diese Entwicklungen und Machenschaften schützt.