Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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„Islamisches“ Märtyrer-Verständnis?

Es ist nicht zum ersten Mal, dass die Aussagen arabischer Gelehrter die Situation der Muslime in Europa erschweren und dementsprechend kommentiert werden. Die „islamische“ Rechtfertigung von Selbstmordanschlägen als Märtyrertod ist mit christlichen Vorstellungen unvereinbar. Dies betonte beispielsweise der Leiter der Hauptabteilung «Ökumene und Auslandsarbeit» des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Rolf Koppe, in einem Beitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Mittwochausgabe). Die Kritik ist nachvollziehbar – aber in dieser allgemeinen Formulierung überzogen.

Koppe reagierte auf in der FAZ dokumentierte Äußerungen des Großscheichs der Moschee und Universität von al Azhar zu Kairo, Sajid Mohammed Tantawi. In dem Artikel distanziert sich der Gelehrte klar und mit guten Gründen vom Terrorismus. Nach dessen Ansicht stirbt aber auch ein Selbstmordattentäter im Ausnahmefall den Märtyrertod. „Wer sich aber inmitten von Soldaten, die ihn töten wollen, oder inmitten einer Armee, die seine Heimat vergewaltigt in die Luft sprengt ist ein Märtyrer“ heißt es bei Tantawi etwas umständlich.

Nur umständlich oder auch mißverständlich? Jedenfalls nicht gerade ein klarer juristischer Lehrsatz. Bereits im Herbst hatten Vertreter der Al-Azhar Universität auf einer denkwürdigen Veranstaltung in der Berliner Bundespressekonferenz sich nur mit Mühe von Selbstmordattentäter distanziert. Dabei wird die eigene Argumentation ausführlich moralisch, selten jedoch juristisch belegt. „Manchmal hat es den Anschein als gäbe es in der heutigen islamischen Welt eine Art arabisches Ausnahmerecht“ hatte an betreffendem Abend ein Muslim (!) empört argumentiert. Bei solchen heiklen Fragen ist also auch im innerislamischen Diskurs, aber auch im Dialog, Genauigkeit und Verbindlichkeit angebracht.

Zunächst – insofern täuscht sich die Evangelische Kirche, die Meinung von Herrn Tantawi wird mitnichten von der ganzen islamischen Welt geteilt. Eine „islamische“ Rechtfertigung für diese Aspekte der terroristischen Kriegsführung ist nicht etwa unstreitiges oder gar universales Gemeingut der Muslime. Um es kurz zu machen: Selbstmordattentate entsprechen natürlich weder der Vorstellung evangelischer Christen noch der von den meisten Muslimen, schon gar nicht in Europa. Es gibt also eindeutig Gemeinsamkeiten.

Herr Koppe hat auch grundsätzlich Recht, wenn er auf die grundsätzlichen Gefahren der Ausführungen des Muftis hinweist. Die Gefahr liegt nahe, dass auch andere verzweifelte Muslime, an anderen Orten, sich auf eine verschwommene und mißverständliche Rechtsfindung und auf die teilweise Rechtfertigung des privaten Terrorismus durch den ägyptischen Mufti berufen könnten. Mißverständnisse sind ebenso gefährlich. Dafür ist das Feueilleton wirklich nicht geeignet. Die katastrophalen Folgen solchen selbstlegitimierten und eigenmächtigen Handelns von Muslimen hat die Welt, auch die islamische Welt, in New York gerade nachdrücklich geschockt.

Rechtsgelehrte habe eine enorme Verantwortung. Sie können auch fehlgehen. Ein selbstkritischer Diskurs über das Entstehen, Befördern und Entgleiten des islamischen Terrorismus in den letzten Jahrzehnten wäre durchaus angebracht. Man liest immer noch selten eine kritische Anmerkung über die Geschichte und Rolle der Madinah Universität. Einbrüche weiten sich aber schnell in Dammbrüche aus. Manche andere Gelehrte im arabischen Raum führen das „Kairoer Argument“ bereits auch zynisch fort, indem kurzer Hand alle Israelis als „Soldaten“ definiert werden.

Die Äußerungen von Schaikh Tantawi – soweit sie Selbstmordaktionen relativieren – sind, meiner Meinung nach, nur im Licht der typisch arabisch-schizophrenen Haltung gegenüber Palästina zu verstehen.Sogar engen arabischen Freunden fällt regelmäßig die Gabel aus den Händen wenn man sie beim Abendessen frägt, warum sich Semiten eigentlich noch immer so sinnlos bekriegen. Dieser Konflikt ist, wie sich das Saddam Hussein für die Psychologie der arabischen Masssen ausdachte, für viele wirklich eine Art „Mutter aller Schlachten“. Sie kann, wie das Beispiel Saddams zeigt, auch Religionsersatz und „Opium fürs Volk“ werden.

So wird beinahe jeden Abend in den arabischen Ländern gebetsmühlenartig die Bilder der israelischen Besatzung gezeigt. Man kann die Wirkungen von außen nur erahnen. Der Islam gerade wenn er nicht mehr praktiziert wird, reduziert sich dabei gerne auf eine „antiisraelische“ Haltung. Es wird dabei –nebenbei erwähnt- angesichts von Not und Verfolgung öfters gefragt warum die USA nicht hilft – selten grundlegender, warum eigentlich Allah nicht hilft. Das Zweite ist ja auch schwerer zu erklären.

Diese spezifische geistige Situation prägt auch die eigentlich berühmte arabische Lehre. Daran leidet auch die merklich die Qualität der Lehre im arabischen Raum. Ihrem Gehalt nach erschöpfen sich die meisten „Gutachten“ eher auf eine wilde Ansammlung moralischer und politischer Lehrsätze. Sie sind Teil eine politischen Situation. Juristisch oder methodisch sind sie selten durchdacht. So erklärt auch Schaikh Tantawi – neben natürlich manchem Bemerkenswerten und Lesenswerten – gerade nicht und schon gar nicht vollständig die Bedingungen und Einschränkungen des „islamischen Kriegsrechts“ oder des „Djihad“.

Vorallem fällt auf – hierin liegt der eigentliche Schwachpunkt der Ausführungen – dass Schaikh Tantawi zum Beispiel nicht erläutert, wer eigentlich rechtlich in Palästina den Krieg oder kriegerische Handlungen ausgerufen hat, legitimerweise ausrufen durfte – etwa Arafat, die Hamas? Er selbst? Irgendjemand? Ein Student in Hamburg? In welchem Falle wäre er – wenn er schon über Djihad spricht – dann „islamisch“ verpflichtet mitzukämpfen? Kann jeder einzelne Muslim etwa – wenn er sich verzweifelt oder angegriffen wähnt – sich nach einer einsamen Entscheidung in die Luft sprengen? Hier hätte man sich irgendwie eine klarere Antwort des Muftis gewünscht.

Natürlich weist der Gelehrte zu Recht hin, dass es auch aus islamischer Sichtlegitime Kriege geben kann – man denke nur an die Selbstverteidigung der Bosnier. Sie wurden aber natürlich – bisher zumindest – niemals privat ausgerufen oder von einigen Wenigen geführt.Andernfalls ist es eben kein Krieg. In bestimmten aussichtslosen Situationen ist auch die Ergebung möglich. Wenigstens weiß man nun nach der ungewöhnlichen FAZ-Lektüre, in Europa, dass der islamische Krieg kein „totaler“ Krieg sondern ein Krieg in sehr engen Grenzen ist. Einige nennt Schaikh Tantawi immerhin.

Wohlwollend betrachtet hat der Mufti so einen wichtigen Beitrag der Debatte über die aktuellen Wirkungen des Islam eröffnet. Das Ziel ist Frieden. Das jeder Krieg ein Unglück ist, gehört – Gott sei Dank- zum Bewußtsein aller Menschen, ist „Fitra“ und muß weder hier noch anderswo eigentlich ausdrücklich betont werden. Trotzdem gut, dass Schaikh Tantawi es dennoch tut.

Einige wichtige dogmatischen Grundfragen umschifft – mit Verlaub – Schaikh Tantawi auch geschickt. Ganz im Einklang mit der ägyptischen und saudischen Staatsraison (nur so kann man in Kairo ja überhaupt lehren ) und unter dem Druck des einfachen arabischen Volkszorn kann er so doch noch einige „Märtyer“ – sozusagen durch Ausnahmerecht – ausrufen. Man bleibt so für alle akzeptabel. Für eine ausdrückliche Verdammung terroristischer Gruppen fehlt wohl sowieso die Autorität. Einige islamische Hauptstädte schicken dann noch einen Scheck an die Witwen – das war`s dann auch. Ende der Debatte. Auch menschlich sind mir diese Haltungen irgendwie abstrus: man kann als Europäer überhaupt nur noch schwer mit Explosion und Dynamit denken.

Halten wir fest: alle Selbstmordattentate sind aus islamisch-juristischer Sicht private und nicht-erlaubte Methoden der „Kriegs“führung. Hier darf es überhaupt keine Erosion oder Ausnahmen geben. Sie haben mit islamisch legitimierbaren Kriegsrecht nichts zu tun. Das zeigt sich auch daran, dass der größere Teil der palästinensischen Muslime und die absolute Mehrheit aller Muslime die einsamen Aktionen nicht gutheißt. Über Jahrzehnte haben die Attentäter und ihre Motive das palästinensische Volk so de facto in Geiselhaft genommen. Eines der Gründe warum dem beklagenswerten palästinensischen Volk die „Fortune“ fehlt.

Neues Denken tut not. Niemand in der Welt bezweifelt heute – das erhöht die Tragik – die außerordentliche Notlage der Palästinenser. Die Verzweiflung wird auch genährt durch das Gefühl des Gefangensein der Palästinenser. Wer hat sie nur ihrem Schicksal so ausgeliefert? Die Schlüssel zum Verlies haben auch die arabischen , national denkenden Nachbarstaaten, die ja nur ungern Palästinenser aufnehmen. Nicht nur Peter Scholl-Latour wirkt vor den regionalen Karten mit ihren komischen Grenzen ratlos. Niemand kann einen Krieg und seine verheerenden Folgen dem uns nahen Osten wünschen. Die Ironie liegt darin, dass Flächen- und Staatskonzepte, Nationalismus und Rassismus die Region offensichtlich nicht befrieden können. Muslime wären zu einer solchen Raumordnung – jüdisches Dorf neben islamischen Dorf , gemeinsam handelnd – aus Tradition heraus eigentlich fähig. Nur moderne Ideologien wollen und wollten die totale Raumbeherrschung.