Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Kairo

Ich komme zur Zeit mit meinen Einträgen nicht mehr nach. Die Meldungen über neue Revolten auf dem Tahrir-Platz, lassen mich meinen Besuch in Kairo letzte Woche nochmals Revue passieren. Wie sehr mehr sind wir verbunden mit den Orten, die wir wirklich einmal besucht haben. Schon damals hatte ich auf einem Seminar über ein IT-Projekt auch junge „Facebook“-Revolutionäre kennengelernt. Diese neue Generation ist virtuos im Umgang mit den neuen Techniken und das „social community (soziale Netzwerke)“ längst Teil ihrer geistigen Heimat.

Bereits zu diesem Zeitpunkt deuteten die junge Leute ihre wachsende Unzufriedenheit über die neuen Verhältnissen an. Sie sprachen über ihr Gefühl, dass die Demokratisierung eine Fata Morgana sein könnte, und dass in Wirklichkeit die Diktatur nur „renoviert“ werden würde. Auf dem Tahrir-Platz erklärten sie mir in bewegten Worten die Abläufe ihrer Revolution, die Gefahren, die Heckenschützen der Sicherheitskräfte. Sie zeigten auf Haustüren, aus denen einfache Leute heraustraten, und die Jungen auf dem Platz mit Essen versorgten.

Bei meinem Besuch war der Platz nur ein lärmendes Symbol der angespannten Verkehrsverhältnisse der Stadt. Ganze Heerscharen hupender alter Ladas, Peugeots und Chevrolets erzählten im Kreisverkehr auf ihre Weise die Geschichte des Landes. Jetzt verschärft sich leider wieder die Lage und es wiederholt sich die unverhältnismäßige Antwort des Staates. Das schlimmste Szenario wäre wohl ein sinnloser Bürgerkrieg.

Nachdrücklichen Eindruck machte auf mich ein junger Mann, der aus einem der modernen Wohnsilos der Stadt stammte und seine Begeisterung über das Internet in einfache Worte fasste. „Das Internet“, rief er aus, „ist wie ein weit geöffnetes Fenster“. In seinen Ausflügen in die virtuelle Welt fand er Bilder seiner Welt und seiner Hoffnungen.

Auf der Busfahrt durch verwahrloste Viertel Kairos, begriff ich die Bedeutung seiner Worte besser. Kairo – das „Paris der Muslime“ – wirkt in großen Teilen vernachlässigt. Man ahnt an jeder Kreuzung die ungeheuren Gegensätze, die sich in den letzten Jahren zwischen Reich und Arm in der Megacity aufgebaut haben. Viele Blickwinkel der Stadt würden nichts Anderes als ein Gefühl der Trostlosigkeit auslösen, wäre da nicht die Begegnung mit unzähligen freundlichen Menschen, die ihren Optimismus nicht von den Börsenkursen ableiten.

Die Bedeutung der neuen Freiheit wird sich nicht nur in der Gründung von neuen Parteien zeigen, sondern wird sich auch angesichts der ökonomischen Machtverhältnissen behaupten müssen. In dieser Hinsicht ist heute überall „Kairo“. Das Kapital wird sich zunächst den Einfluss auf die Massenmedien – insbesondere das Fernsehen – sichern.

Wo aber ist das Rettende? Die Muslimbruderschaft und ihre Parteiungen haben – neben ihren profanen politischen Interessen – bisher nur eine gesteigerte öffentliche Moral im Programm, aber noch lange kein ökonomisches Konzept, geschweige denn echte Alternativen für viele junge Männer und Frauen, zu bieten. Viele junge Ägypter suchen aber einen neuen Mittelweg. Sie wollen glauben, wenn auch jenseits der Ideologie alter Männer, aber auch jenseits der Belanglosigkeit leerer Esoterik.

Notwendig wäre, den Qur'an wieder als eine spirituelle Quelle zu entdecken, die Zakat als Symbol echter Gerechtigkeit zu verstehen und im islamischen Wirtschaftsrecht nach den zeitgemäßen Antworten zu suchen, die die Bevölkerung insgesamt inspirieren und beflügeln könnte.