Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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„Monster“

Ich habe öffentlich betont, dass der Kampf gegen die Armut die wichtigste Aufgabe des 21. Jahrhunderts ist.” [Horst Köhler bei einer Konferenz zu PRSP in Washington, 17. Januar 2002 ]

Noch vor einigen Jahren wäre die Beschimpfung des sakralen Finanzsystems als ein Zeichen für Radikalität und Extremismus bewertet worden. So ändern sich die Zeiten.

Mit Blick auf die weltweite Krise der Finanzmärkte hat Bundespräsident Horst Köhler die Banken hart kritisiert. „Wir waren nahe dran an einem Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte“, sagte Köhler dem Magazin «Stern». Die Finanzmärkte hätten sich „zu einem Monster entwickelt, das in die Schranken gewiesen werden muss“. Dies müsse auch jedem verantwortlich Denkenden in der Finanzwelt klar geworden sein.

Ganz offensichtlich hätten die Banker so viele Derivate geschaffen, dass sie am Ende selbst nicht mehr verstanden hätten, wie diese wirkten. „Die Überkomplexität der Finanzprodukte und die Möglichkeit, mit geringstem eigenem Haftungskapital große Hebelgeschäfte in Gang zu setzen, haben das Monster wachsen lassen“, sagte Köhler, der früher auch Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) war. „Es hat kaum noch Bezug zur Realwirtschaft“. Dazu gehören auch „bizarr hohe Vergütungen für einzelne Finanzmanager“. Die Finanzwelt habe sich „mächtig blamiert“. Er vermisse aber noch immer als Schuldbekenntnis „ein klar vernehmbares Mea Culpa“.

Horst Köhler selbst war übrigens vor seinem Amtsantritt im IWF Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, ein Amt, für das er im September 1998 bestellt worden war. Davor, von 1993 bis 1998, war Horst Köhler Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Von 1990 bis 1993 übte er das Amt des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium aus und war für internationale finanzielle und monetäre Beziehungen verantwortlich. Während dieser Zeit führte er im Auftrag der deutschen Regierung die Verhandlungen über das Abkommen, das zum Maastricht-Vertrag über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion wurde, war eng in den Prozess der deutschen Wiedervereinigung einbezogen und diente als stellvertretender Gouverneur für Deutschland in der Weltbank. Er war persönlicher Vertreter (,,Sherpa“) des Bundeskanzlers bei der Vorbereitung der G7-Wirtschaftsgipfel in Houston (1990), London (1991), München (1992) und Tokio (1993).

Der „Monster“-Vergleich von Bundespräsident Horst Köhler ist führenden Wirtschaftswissenschaftlern auf unterschiedliche Bewertungen gestoßen. Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans- Böckler-Stiftung, sagte in einem Streitgespräch auf Einladung von sueddeutsche.de, er begrüße den Erkenntnisgewinn des Bundespräsidenten, hätte sich aber gewünscht, dass dieser sich auch schon während seiner Zeit beim Internationalen Währungsfonds so kritisch über die Finanzmärkte geäußert hätte.

Tatsächlich zeigt das Beispiel des Bundespräsidenten, dass man Kritik am Finanzsystem und Fragen nach der moralischen Konsequenz desselben, nur nach einem Wechsel ins politische Feld äußern darf.

Vor der letzten Wahl des Bundespräsidenten versucht sich Attac an einer Bilanz der IWF-Amtszeit des Bundespräsidenten:

Dabei bietet diese Vergangenheit Köhlers die seltene Gelegenheit, die rücksichtslose Politik des IWF gegenüber den Schuldnerländern in der dritten Welt zu thematisieren. Einige Beispiele aus den letzten Jahren:

Brasilien musste sich nach dem Regierungswechsel zur Erzielung eines Haushaltsüberschusses von 4,25% des BIP verpflichten um damit seine Auslandsschulden zu bedienen. Jährlich müssen 50 Mrd $ für den Schuldendienst aufgewendet werden. So bleibt der fortschrittlichen Regierung von Lula kein Spielraum für die Ausstattung des Anti-Hungerprogrammes mit den nötigen Mitteln. Im letzten Jahr mussten die Sozialausgaben um 10% gekürzt werden. Nach Angaben der FAO sind 16,7 Mio Brasilianer chronisch unterernährt, leiden also permanent Hunger. 50 Mio Menschen leben in absoluter Armut

Trotz gegenteiliger Beteuerungen des IWF wurde auch die Politik der Stukturanpassungsprogramme (SAP) fortgesetzt.

Malawi strich auf Druck des IWF in den vergangenen Jahren seine Subventionen und Unterstützungen stark zusammen und schaffte Preiskontrollen ab. Die Folge: Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen, viele Arme können sich ihr Essen nicht mehr leisten.

In Ghana setzte der IWF vor kurzem die Privatisierung der Wasserversorgung durch. War diese bis dahin ineffizient, aber durch Subventionen immerhin für alle erschwinglich, können sich nach Streichung der Subventionen viele Ghanaer das Wasser nicht mehr leisten.

Dies sind nur wenige Beispiele, die zeigen welche verheerenden Folgen die vom IWF „empfohlenen“ Maßnahmen während Köhlers Amtszeit für die Länder des Südens hatten und haben. Entgegen aller Versprechen – auch Horst Köhlers – gab es keine Fortschritte bei Armutsbekämpfung, Entschuldung und Entwicklung. Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist in seiner Amtszeit um 200 Mrd. $ angewachsen. Nach wie vor setzten die reichen Länder des Nordens mit dem IWF allein ihre Interessen auf Kosten der verarmten Weltregionen durch.