Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

„Nai hämm'r gsait (Nein haben wir gesagt)“

Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind meinen Vater auf einen ungewöhnlichen Sonntagsspaziergang begleitete. Es ging nach Wyhl in den Rheinwald, um dort das 1975 spontan errichtete „Anti-Atomkraft-Dorf“ zu besichtigen. Mein Vater war zwar bei der CDU und im Grunde ein Atomkraftbefürworter, konnte sich aber als engagierter Kommunalpolitiker dem Reiz des politisch Ungewöhnlichen nicht entziehen. Nach unserer Besichtigung der bunten Waldbewohner, die es sich an Lagerfeuern gemütlich gemacht hatten und einigen väterlichen Erklärungen über die Nachteile der Basisdemokratie gab es dann in Breisach ein Eis.

Zweifellos war die 3613 Einwohner zählende Gemeinde Wyhl am Kaiserstuhl ein Symbol für den badischen Widerstand gegen die Atomkraft. Hinter dem Motto „Nai hämm'r gsait“ konnte sich Bauernschläue und universitäre Gelehrsamkeit gleichermaßen versammeln. Obwohl die „Bewegung“ natürlich auch von Studenten aus Freiburg unterstützt wurde, blieb sie im Kern auch bürgerlich. Hunderte von Menschen stellen sich den anrückenden Baumaschinen entgegen, Hausfrauen, Anwohner, darunter viele Weinbauern, die Angst hatten, dass die Schwaden der Kühltürme ihren Weinbergen die Sonne wegnehmen, aber auch einfache Landwirte mit ihren Traktoren.

Der Widerstand im Rheinwald war für die CDU-Landesregierung im fernen Stuttgart ein Trauma, das Dorf im Walde ein ungewöhnlicher „außerparlamentarischer“ Erfolg. Zwar wurde das Dorf nach einigen Monaten wieder eingestampft, aber auch die Stuttgarter Regierung musste sich bewegen und gab schließlich die Pläne auf. Allerdings wurde die Bewegung doch noch ad absurdum geführt, denn einen Steinwurf entfernt auf der anderen Rheinseite in Frankreich entstand das Atomkraftwerk Fessenheim. Die Anti-Atomkraftbewegung ging entweder frustriert nach Hause oder zu den Grünen, die sich auf den langen parlamentarischen Weg machten. Das Wort „Globalisierung“ wurde bald danach erfunden.

Nun, kurz vor der Wahl in Baden-Württemberg, schien die Anti-Atomkraftbewegung an altem Schwung verloren zu haben. Dann änderte Fukushima alles. Der als Atomlobbyist geltende CDU-Ministerpräsident Mappus („s´isch saublöd glaufe“) hatte sich noch kurz vor dem Unglück für einige Milliarden und – verfassungsrechtlich fraglich – am Parlament vorbei ausgerechnet EnBW Aktien gesichert. Bei dem Deal hatte auch noch ein alter Kumpel von einer amerikanischen Großbank, „der halt zufällig grad da war“, geholfen. Jetzt will Kappus die alten profitablen Meiler abschalten und sitzt auf den teuren Atom-Aktien.

Das technikkritische Deutschland hat gleichzeitig wieder eine seiner Fundamentaldebatten und versorgt – wie ein Kommentator launisch vermerkte, „die Japaner mindestens mit Panik“. Die politische Lage in Sachen Atomtechnik ist zweifellos in Bewegung geraten. Von den Konservativen glauben heute nur noch die „sehr“ Konservativen bedingungslos an die Atomkraft, da sie ungern zugeben, dass die nationale Souveränität, wäre man denn dagegen, beim europaweiten Atomgeschäft zur Abschaltung leider nicht mehr ausreichen würde.

Darüberhinaus stellt sich auch die Frage, ob es einen inneren Zusammenhang von Atom- und Finanztechnik, das heißt Atom- und Finanzkrise gibt, wobei die Grünen die moderne Finanztechnik bejahen und gegen Atomkraft sind, Teile der Linken jedoch die moderne Finanztechnik ablehnen und für Atomkraft sind.

Natürlich sind bestimmte Formen der Technik ohne die Produktion gigantischer Mengen von (Papier-)Geld zu ihrer Finanzierung kaum denkbar. Wolfgang Münchau sieht auf FTD bereits „die Kernschmelze des Kapitalismus“:

„Momentan stehen wir unter dem Schock dieser neuen Krise. Aber beide Ereignisse hängen zusammen. Die gesamte Finanzkrisenpolitik verläuft ähnlich wie der verzweifelte Versuch des japanischen Energiekonzerns Tepco, mit Meerwasser die Brennstäbe unter Kontrolle zu halten. Man fummelt an den Symptomen, kann aber das eigentliche Problem nicht lösen.“

Für das Politische stellt sich die Grundsatzfrage, ob der Mensch im Netzwerk der Technik überhaupt noch „politisch“ souverän ist und ob eine Welt, die zur Atom- und Finanztechnik keine politischen Alternativen mehr sieht, auf Dauer eine Neigung zum Totalitarismus hat. Dieser Frage geht der Philosoph Martin Heidegger in seiner lesenswerten Abhandlung „Die Technik und die Kehre“ nach.

Die Religionen wiederum sehen in der Technikgläubigkeit an sich ein Problem, vor allem wenn sich die Technik augenscheinlich gegen die Schöpfung wendet oder besser gesagt die Technik gegen uns. Der Glaube an die übergeordnete Allmächtigkeit der Finanz- und Atomtechnik beschreibt der Atomexperte Mycle Schneider am Beispiel der Eliten Frankreichs auf Focus Online:

‎“Frankreich ist sicher der krasseste Fall. Sarkozy ist ja nicht der erste Präsident, der allein auf Atom schwört. Seit mehr als 35 Jahren ist Atomstrom Staatsräson. Eine kleine Gruppe von Elite-Kadern, der „Corps des Mines“ stellt alles relevante Personal in Staat und Wirtschaft, vor allem die Energie- und Atomberater von Ministern und Präsidenten. Für diese Spitzentechnokraten ist Staatsdienst quasi Religion. Und sie sind natürlich unfehlbar.“