Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Russland – jenseits der Extreme

Islam in Russland – da denken viele zunächst an Tschetschenien. Die Begegnung Islam und Russland hat aber viele historische und geistige Facetten. In der russischen Föderation sind über 20 Millionen Muslime ansässig. Das Land ist auch ein Land der Dichter und Denker mit vielen wichtigen Beiträgen für die europäische Kultur. Man denke nur an Tolstoi und Dostojewski. Islam und Europa: Wie sehen das die Intellektuellen in Russland? Grund genug, zu einem runden Tisch zum Thema „Russia-Europe-The Muslim World“ einzuladen, den EMU (www.emunion.org) und das Islamic Culture Center of Russia am 4. August im Hotel Imperial in Moskau organisiert hatten. Wir und der Leiter des ICC, Dr. Nyazov, konnten Teilnehmer aus Europa, Russland und Kazakhstan begrüßen.

In 25 sehr unterschiedlich motivierten Wortbeiträgen – unter anderem von Regierungsvertretern, Beratern, Muftis, Botschafter und Vertretern islamischer Gemeinschaften – wurde über die künftige Rolle des Islam in Russland – zwischen Asien und Europa – diskutiert. Bei dem runden Tisch und dem Austausch ging es darum, in „offener Atmosphäre“ die verschiedenen Gesichtspunkte und Möglichkeiten des Islam in Russland näher kennenzulernen und intellektuell zu beurteilen. Russland sieht dabei den Islam weniger (wie oft genug bei uns) als ein störendes „Immigrantenphänomen“, sondern sieht die Muslime als einen natürlichen und wichtigen Bestandteil der russisch-föderativen Ordnung an.

Alle Teilnehmer zeigten sich einig, dass die islamische Gemeinschaft und die europäischen Gesellschaften den Terrorismus als gemeinsamen Gegner ansehen. Auf der anderen Seite sind die positiv denkenden Muslime Europas eine wichtige Klammer zwischen den verschiedenen Völkern auf dem eurasischen Kontinent. Anschließend besuchte unsere EMU-Delegation die Republik Tatarstan und informierte sich bei einem Empfang mit dem tatarischen Präsidenten Shamiev in Kazan über die Realität des Islam in dieser Teilrepublik.

Im Kremlin in Kazan weht nicht nur eine frische Wolgaluft, sondern hier wird auch architektonisch deutlich, dass der Islam keine „totalitäre Raumbeherrschung“ kennt. So findet sich nun auf dem tatarischen Kremlin eine große neue Moschee neben einer orthodoxen Kirche. Geistig wird in Russland über das Thema Islam sehr dialektisch, als eine Konfrontation zwischen Wahabismus und Aufklärung oder zwischen Extremismus und Esoterik gedacht. Immer mehr Muslime in Russland praktizieren aber einfach „korrekt“ – beten, fasten, pilgern und zahlen die Zakat, und entziehen sich einer banalen, nur politischen Kategorisierung.

Der gerade Weg – ganz dem Beispiel des Propheten folgend, meidet auch in Russland die Extreme. Der 2. Tschetschenienkrieg hat auch vielen Muslimen gezeigt, dass die Infiltrierung der Tschetschenen mit arabischen Extremisten zu – auf beiden Seiten – verheerenden Ergebnissen geführt hat. Der Islam pendelt sich wohl auch unter diesem Eindruck langsam wieder auf einen Mittelweg ein.