Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Überleben

Washington, 5. Januar (IPS) – Die Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren gehört zu den am stärksten von der Flutkatastrophe in Südasien betroffenen Gebieten. Dennoch wird angenommen, dass die meisten Angehörigen der zum Teil seit 60.000 Jahren dort heimischen indigenen Völker überlebt haben. Abgeschiedenheit und eine in hohem Maße autarke Versorgungsstruktur haben viele gerettet und erweisen sich auch jetzt als Vorteil.

Nach Angaben der in London ansässigen Hilfsorganisation für bedrohte Völker 'Survival International' (SI) haben die Jarawa, die Onge, die Sentinelesen und die Andamanesen vermutlich wenige oder keine Toten zu beklagen. Sie leben sehr zurückgezogen auf ihren Inseln.

Über die etwa 380 Shompen auf Great Nicobar gibt es noch keine Auskünfte. Laut SI ist die Hoffnung auf positive Nachrichten jedoch groß, da sich diese Gruppe eher in den Wäldern des Inselinneren als an der Küste aufhält.

Anders stellt sich die Situation bei den stärker integrierten Nikobaresen dar. Ihre zwölf Dörfer auf der Insel Car Nicobar sind völlig zerstört. Ersten Berichten zufolge sind 3.500 der etwa 30.000 Mitglieder des Volkes tot oder gelten als vermisst.

Bislang gibt es auf dem gesamten, aus 550 Inseln mit schätzungsweise 350.000 Bewohnern bestehenden Archipel rund 1.000 bestätigte Todesfälle. Hilfsagenturen sagen jedoch ein mögliches Ansteigen dieser Zahl auf bis zu 20.000 voraus. Unter den bisher identifizierten Opfern befinden sich auch Hunderte indischer Militärangehöriger von einem Luftwaffenstützpunkt.

Andamanen und Nikobaren liegen nahe an Burma und Thailand, gehören aber politisch zu Indien. Die Inselkette erstreckt sich über knapp 700 Kilometer. Sie befindet sich etwa 640 Kilometer nördlich vom Epizentrum des Bebens, das am 26. Dezember den verheerenden Tsunami mit vermutlich 165.000 Todesopfern ausgelöst hatte.

Fremdhilfe wahrscheinlich nicht notwendig

Anders als die meisten Menschen in den betroffenen Küstenregionen um den Indischen Ozen und in Afrika werden die abgeschieden lebenden indigenen Inselvölker weniger mit den Folgen der Naturkatastrophe zu kämpfen haben. Dies erläutert die SI-Kampagnenchefin für die Andamanen, Sophie Grig, im Gespräch mit IPS.

„Sie bauen ihre eigenen Häuser und gehen zur Jagd. Sie sind völlig autonome Selbstversorger, deshalb werden sie nicht so zu leiden haben wie Gemeinschaften, die durch Straßen, Boote, Hausbau und Nahrungsbeschaffung von anderen abhängig sind. Solange sie über Trinkwasser verfügen, sollten sie in der Lage sein, so weiterzuleben wie bisher.“

Die Ureinwohner siedeln seit dem Paläolithikum, teilweise seit bis zu 60.000 Jahren, auf Nikobaren und Andamanen. Damit gehören sie zu den ältesten Steinzeitvölkern der Welt. Jarawa, Onge, Sentinelesen und Andamanesen sind afrikanischen Ursprungs. Die vier Gruppen haben jeweils eigene, untereinander nicht verständliche Sprachen. Dennoch sind ihre Lebensweisen sehr ähnlich.

Grig vertritt die Ansicht, dass die Unabhängigkeit dieser Gemeinschaften nicht durch Hilfslieferungen gefährdet werden sollte. „Ihre Isolation ist selbst gewählt. Sie haben sich selbst und ihr Land gegen Siedler verteidigt. Ich gehe davon aus, dass sie auch Versorgungsgüter ablehnen würden.“ Die indische Regierung wies kürzlich internationale Hilfsangebote für die Inseln zurück. Als Begründung wurde angeführt, sie verfüge über ausreichend eigene Mittel.

Genaue Einschätzungen schwierig

Detailkenntnisse über die einzelnen indigenen Völker sind rar. Die 270 Jarawa lebten bis in Ende der 90er Jahre isoliert im Westteil der Südlichen und Mittleren Andamanen. Gestört worden war ihre Unberührtheit allerdings bereits 1970 durch den Bau einer Straße, die ihr Gebiet durchquert.

Im Mai 2002 ordnete der Oberste Gerichtshof Indiens die Schließung der Straße sowie den Rückzug aller Siedler an. Bislang geschieht die Umsetzung des Erlasses jedoch nur zögerlich. SI setzt sich für die Wiederherstellung der Jarawa-Autonomie ein.

Berichten zufolge sollen sie sich während des Tsunami in den Wäldern der Insel befunden haben. Sie leben dort in 40- bis 50-köpfigen Gruppen. Die Jarawa jagen Wildschweine und Warane, fischen mit Pfeil und Bogen und sammeln Kerne, Beeren und Honig.

Über das Schicksal der Sentinelesen gibt laut SI kaum Definitives zu berichten. Schätzungen ihrer Bevölkerungszahl vor der Katastrophe liegen zwischen 50 und 250. Sicher ist aber, dass ein Sentinel Island überfliegender Hubschrauber von Ureinwohnern mit Steinen und Pfeilen beworfen wurde. Die Insel ist vom Meer aus nicht zugänglich.

Die Onge wurden 1976 in zwei von der Regierung errichteten Revieren auf den Kleinen Andamanen angesiedelt. Das 1901 noch über 600 Mitglieder starke Volk ist inzwischen auf rund 100 geschrumpft. Von ihnen ist bekannt, dass sie vor der Flutwelle auf höher gelegenes Gebiet flüchten konnten. Derzeit sind sie in der Schule einer nahen Gemeinde untergebracht.

Verlässliche Berichte über die Situation der Andamanesen auf Strait Island liegen hingegen nicht vor, obwohl sie lediglich 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Port Blair leben. Die einstmals große und als angriffslustig berüchtigte Gruppe verlor 1859 eine Schlacht gegen die britischen Truppen. Diese führten in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Straffeldzüge durch. Vor der Flutwelle lebten noch 41 Volkszugehörige.

Die Nikobaresen haben traditionelle Kleidung und Gebräuche größtenteils abgelegt. Sie leben nahezu assimiliert unter den Siedlern von Car Nicobar. Rund 98 Prozent sind Christen, die Übrigen bekennen sich zum Islam. Ihre Wurzeln sind, wie auch die der Shompen, mongolid. Im Gegensatz zu den anderen indigenen Völkern sind sie ursprünglich Bauern. Heute arbeiten viele von ihnen aber in Regierung und Privatwirtschaft. (Ende/IPS/bs/2005)