Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Verantwortung

„Ich habe öffentlich betont, dass der Kampf gegen die Armut die wichtigste Aufgabe des 21. Jahrhunderts ist.” [Horst Köhler bei einer Konferenz zu PRSP in Washington, 17. Januar 2002 ]

In Sachen politischer Kultur gibt es in Deutschland normalerweise eine Arbeitsteilung. Die Politik ist zuständig für Moral und Menschenrechte – die Wirtschaft agiert ohne die Fesseln der persönlichen Verantwortung oder ethische Maximen. Beispiele gibt es viele: Politisch ist der Iran Gegner – ökonomisch ist der Iran Verbündeter. Ein Rücktritt eines Wirtschaftsbosses, der Verantwortung übernimmt, ist auch nur sehr selten überliefert. So richtig ausgesprochen (oder gar Attac-Mitglied wie Heiner Geissler) werden Politiker dann, wenn sie pensioniert sind oder die Ebene der Entscheidung verlassen haben.

Der deutsche Bundespräsident verbindet in seiner Biographie höchstes politisches und ökonomisches Amt. Allerdings muss er sich zu seiner umstrittenen Zeit beim IWF nur selten äußern. In seiner Berliner Rede Anfang Oktober zeigt sich „Afrikafan“ Köhler moderat und über das Unbill der Globalisierung geläutert. Es sei, so Köhler, die entscheidende Aufgabe des 21. Jahrhunderts, die Globalisierung allen zu gute kommen zu lassen. Der wachsenden Einkommensschere müsse entgegengewirkt werden: „Der Aufstieg der Einen darf nicht der Abstieg der Anderen sein.“

Köhler spielt so auf den Grundtatbestand der Globalisierung an: immer mehr Arme, immer mehr Reiche. Wie ein moderner Limes zieht sich ein Art Schutzzaun um die reichen Länder. Aber auch im Innern entstehen Parallelgesellschaften, die sogenannten „gated communities“. Köhler: „Noch immer lebt ein großer Teil der Menschheit in tiefster Armut. Ganz Afrika mit seinen rund eine Milliarde Menschen zum Beispiel steht nicht mehr Einkommen zur Verfügung als den etwa 20 Millionen Einwohnern von Bayern und Niedersachsen. Diese Armut und Schwäche hat vor allem zwei Ursachen: unzureichende Teilhabe an der Globalisierung – meist mangels Wirtschaftskraft und mangels Guter Regierungsführung – und Benachteiligung durch Staaten und private Akteure, die ihre eigenen Interessen ohne jede Rücksicht verfolgen.“

Reden ist einfach, handeln ist schwierig. Die Politik des IWF nennt Köhler als Ursache für die Verarmung vieler Länder nicht. Wie Attac zu berichten weiß, hat Köhler als Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds sich zwar auch verbal für Armutsbekämpfung und Schuldenreduzierung eingesetzt, gleichzeitig aber in seiner Amtszeit die Politik der Strukturanpassung aktiv fortgesetzt. Diese Politik zwang die verschuldeten Ländern des Südens regelmäßig zur:

– Erheblichen Kürzung der öffentlichen Ausgaben, insbesondere der oft nur rudimentär vorhandenen staatlichen Gesundheits- und Bildungsprogramme. Zweck ist die Umlenkung der Staatseinnahmen von Sozialleistungen in den Schuldendienst.

– Privatisierung von Wasser und Stromversorgung mit drastisch steigenden Preisen, welche die Armen nicht bezahlen können.

– Aufhebung von Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel. Anschließend steigt die Zahl der Hungernden noch weiter an. völligen Öffnung der heimischen Märkte für ausländische Importe. Diese verdrängen heimische Waren und ruinieren Kleinbauern und lokale Unternehmen.

– Umfassenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs. In der Folge werden profitable einheimische Unternehmen von transnationalen Konzernen übernommen und die Gewinne ins Ausland transferiert. Zudem wird die Steuerflucht der einheimischen Eliten begünstigt. Diese Maßnahmen führen in den betroffenen Ländern zur Vergrößerung des herrschenden Elends. Analphabetismus nimmt zu. Kinder sterben an einfachsten Krankheiten. Unzählige Menschen werden Opfer von Hungerepidemien.

Sicher ist wohl, dass es entgegen aller Versprechen – auch Horst Köhlers – es keine Fortschritte bei Armutsbekämpfung, Entschuldung und Entwicklung gab. Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist alleine in seiner Amtszeit um 200 Mrd. $ angewachsen. Nach wie vor setzten die reichen Länder des Nordens mit dem IWF allein ihre Interessen auf Kosten der verarmten Weltregionen durch.

Für die Betroffenen klingt die „Lösung“ Köhlers etwas bitter und wenig selbstkritisch: „Wir müssen mehr wissen über das Geschehen auf den Finanzmärkten und darüber, wie es auf die reale Wirtschaft einwirkt. Deshalb brauchen wir eine unabhängige, kompetente Institution, die jenseits der Grenzen des Nationalstaats zuständig und verantwortlich für die Stabilität des internationalen Finanzsystems ist. Ich denke, der Internationale Währungsfonds sollte vor allem hier seine Aufgabe in der Welt des 21. Jahrhunderts finden.“