Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Verfassungskrise?

„Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen. Das war ein Grund dafür, dass die Finanzkrise überhaupt entstehen konnte. Und es hat dazu geführt, dass der Staat in der Finanzkrise erpressbar war – und es bis heute ist.“ (Horst Köhler, Bundespräsident)

Die aktuelle Finanzkrise lehrt uns neben den Aufregungen des Tagesgeschäftes das fundamentale Problem moderner Verfassungen: Es geht um das Verhältnis von Politik und Ökonomie. Es geht um das Verhältnis von Macht und Geld.

Während wir in der „Griechenlandkrise“ die Erpressbarkeit der Politik „ohne Alternativen“ bestaunen, sind es die alten griechischen Grundfragen nach dem typischen Wechsel der politischen Gezeiten, die uns heute wieder aufs Neue beschäftigen. Über den Kreislauf der Verfassungen schrieb bereits Polybios im 6. Buch seiner Universalgeschichte. Polybios geht davon aus, dass es in der Geschichte unterschiedliche Verfassungstypen gibt, die sich in einem beständigen Kreislauf und nach einer festen Regel abwechseln. Es sind dies die drei rechtmäßigen, „guten“ Formen der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie, sowie deren zugehörige Verfallsformen der Tyrannnis, der Oligarchie und der Ochlokratie.

Blicken wir noch für einen weiteren Moment, diesmal in die jüngere Geschichte, zurück: Nach den fürchterlichen Erfahrungen des 2. WK war klar, dass nationale und rassistische Politik in furchtbarer Weise zum Schicksal Europas wurde. Hitlers verbrecherischer Rassismus hat die Schöpfung herausgefordert und wurde mit ungeheurer Zerstörung und unglaublichem Leid beantwortet. Rainer Maria Rilke hatte schon zu Beginn des 1. WK so erschütternd wie treffend festgestellt: „Jetzt ist die Welt endgültig dem Menschen in die Hände gefallen“.

Die Grundfrage der postmodernen Verfassungsrechtler in Deutschland war, nach diesen Jahren der entfesselten Zerstörung, wie man politische Macht und die Macht der Ideologien insbesondere, begrenzen kann. Die Menschen sollten künftig vor den maßlosen Auswüchsen des Nationalismus, Rassismus oder Imperialismus beschützt werden. Die europäischen Verfassungen, insbesondere die Verfassung der Bundesrepublik, sind zweifellos und in erster Linie dem Gedanken der Eingrenzung politischer Macht verpflichtet. Und diese Einschränkung hat funktioniert, allerdings schwand in den folgenden Jahrzehnten die Macht und die Bedeutung der Nationalstaaten.

Der deutsche Dichter Ernst Jünger forderte nach den Erfahrungen der Weltkriege die Etablierung eines Weltstaates, um die nach der Atombombe offensichtlich notwendig gewordene Hegung des Krieges politisch durchzusetzen. Jünger fürchtete, dass die Macht der Nationalstaaten für die Ordnung einer global gewordenen Welt nicht mehr ausreiche. Wie wir heute wissen, gelang die ökonomische Vereinheitlichung der Welt viel schneller, als die politische Einheit der Welt je folgen konnte. Im ökonomischen Feld fand die sogenannte „Globalisierung“ allerdings in einem de facto rechtsfreien Raum statt. Der „Coup de Banque“ entging jeder nationalen Sicherheitsbehörde. „Hüter der Verfassung“; Medien, Politik, Verfassungsschutz blieben über Jahrzehnte blind gegenüber den Machenschaften der Banken – strukturelle Globalisierungskritik wurde „sicherheitshalber“ mit dem Vorwurf des angeblichen „Antisemitismus“ in der Mitte der Gesellschaft unmöglich gemacht.

Nach dem Perspektivwechsel durch die Finanzkrise ist heute wohl klar, dass die Ökonomie, nicht die Politik, das eigentliche Schicksal unserer Zeit ist. Für interessierte Juristen stellt sich nun in erster Linie die Frage nach der Eingrenzung ökonomischer Macht. Das Problem ist aber, welche Politik und welches Recht ist hierzu überhaupt noch in der Lage, und – kommen diese Reformbemühungen etwa zu spät?

Da der Weltstaat eine Utopie blieb und unsere nationalen Verfassungen nur unzureichend in der Lage sind, die globale Finanzmacht zu begrenzen, bleiben diese Fragen hochaktuell. Die Bürger Europas ahnen bereits, dass die organisierte Finanzmacht, von Peking bis Washington, heute weder durch nationale Politik noch durch internationale Organisationen reformierbar oder kontrollierbar ist. Überhaupt stellt sich im Verhältnis „Finanztechnik – Politik“ immer wieder die Frage: „wer regiert wen“?

An dieser Stelle kommt übrigens auch die populäre These, dass es angeblich der Islam sei, der die Demokratien aushöhle, zu ihrem historischen Ende. Aus heutiger Sicht dürfte klar sein, dass weder menschenfeindlicher Terrorismus, weltfremder Fundamentalismus oder fanatischer Islamismus unsere demokratischen Ordnungen bedrohen konnten. Der „Islamismus“, ein politischer Begriff, mit dem zumeist eine islamische Politik oder Ideologie gemeint ist, die ohne die Einschränkungen des islamischen Rechts auskommt, ist ein ernstes Problem, aber die Ordnung vermochte diese Bewegung niemals zu gefährden.

Der französische Intellektuelle Olivier Roy schreibt über die fragwürdigen Quellen des modernen Terroristen:

„Der Modus Operandi und die Organisationsform von al-Kaida, das zentrale Feindbild des amerikanischen Imperialismus wie auch die auf junge, im Westen ausgebildete Muslime und auf Konvertiten ausgerichtete Rekrutierungspraxis – all das verweist darauf, dass al-Kaida nicht einfach Ausdruck eines traditionellen, ja nicht einmal eines fundamentalistischen Islam ist; sondern vielmehr eine neue Auffassung des Islam im Kleid westlicher, revolutionärer Ideologien.“ ( Interview NZZ Online)

Die Hundertschaft dieser „Islamisten“ und ihrer neuartigen revolutionären Ideen haben im Ergebnis, neben der explosiven Ablenkung von den faszinierenden Glaubenslehren des Islam, allein den Wesenswandel der europäischen Staaten hin zu ausufernden „Sicherheitsstaaten“ beschleunigt. Von der eigentlichen Frage dieser Zeit, dem Verhältnis von Politik und Ökonomie, haben diese Herren mit ihrem dunklen Treiben abgelenkt. Aber auch ein anderer Aspekt des Kampfes gegen den „Islamismus“ ist für das Schicksal der Zivilgesellschaft wichtig: Der 11.9. war aus Sicht vieler Juristen und Rechtsanwälte der Anlaß für einen entscheidenden Tabubruch: auch Demokratien können, wie wir heute wissen, offensichtlich jederzeit „Ausnahmerecht“ und den „Ausnahmezustand“ etablieren. Guantanamo, als Ort ohne Ordnung, ist heute ein Mahnmal dieses Nihilismus, der das alte Recht auflöst. Diese bedrohliche Fähigkeit moderner Staaten bleibt in den kommenden Krisen ein denkwürdiger Fakt.