Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Verschärfungsrhetorik

Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) hält den jüngsten Anti-Terror-Vorstoß von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für „Verschärfungsrhetorik“. Diese sei „weniger in der Sache begründet, als politisch motiviert“, sagte der FDP-Politiker in einem Gespräch in Stuttgart.

Der CDU-Politiker hatte einen neuen Straftatbestand der Verschwörung vorgeschlagen und auch eine gezielte Tötung von Terroristen in Erwägung gezogen. Der Minister denkt außerdem an Auflagen für Gefährder, die nicht abgeschoben werden können. Gefährlichen Personen sollte die Nutzung des Internets und des Handys untersagt werden können.

Schäuble sieht sogar Bedarf die Verfassung den neuen weltstaatlichen Realitäten anzupassen (den Anpassungsbedarf, zu Lasten von Bürgerrechten, sieht er allerdings nur im Sicherheitsbereich – andere Politikfelder und aktuelle Herausforderungen an die Demokratie bleiben unerwähnt, so der wachsende Einfluss von Medien und Kapital, die Herrschaft der Parteien usw., den die Väter des Grundgesetzes ebenfalls kaum geahnt haben mögen…).

Goll sagte dazu: „Jede neue Überwachungsmaßnahme sollte zuerst nach einer einfachen Formel abgeklopft werden: Was kann es nutzen, was kann es schaden? Solange der Nutzen beschränkt, aber der Schaden groß ist, rate ich ab.“ Es sei schließlich nicht so, „dass wir heute noch gar nichts dürften, um den Terrorismus zu bekämpfen“.

Natürlich wird man auch als Muslim nichts gegen eine effektive Terrorbekämpfung einwenden. Bedenklich stimmen aber die geistigen Rahmenbedingungen, die die Debatte letztendlich auf Dauer eröffnet. Natürlich wird von diesem geistigen Klima, stärker als der Otto-Normalbürger, die Minderheit der Muslime betroffen sein. In der Islamischen Zeitung kommentieren wir die insofern wichtige Debatte wie folgt:

Sicherheitsfragen gehören natürlich zur Kernkompetenz eines Innenministers. In einer Zeit, in der niemand ausschließen kann, dass auch in Deutschland zynische Anschläge in unsere Alltäglichkeit einbrechen, wächst verständlicherweise der Druck auf den Innenminister, „alles menschenmögliche“ für die Sicherheitslage zu tun. Wolfgang Schäuble lotet aber nicht nur neue Sicherheitskonzepte aus, sondern treibt auch gezielt die begleitende politische Debatte rhetorisch voran: Gezielte Tötung, Online-Durchsuchungen und das in Deutschland ungut klingende Wort „Internierung“ machen nun die Runde.

Sorge macht dabei, dass die Eskalationsstufen der Worte schon in Ruhezeiten an den Rand des Vorstellbaren treiben. Was werden die Forderungen von künftigen Politikern oder Populisten sein, die Rechts von Schäuble stehen wollen, wenn etwas passieren sollte? Werden die Kennzeichen „Bart“ und „Kopftuch“ – am Kiosk, an der Grenze, auf der Polizeistation – am Ende nicht nur Misstrauen, sondern einen allgemeinen Alarmismus auslösen? Werden unter diesem Druck diese Kennzeichen eines Tages gar verschwinden? Es liegt in der Natur der Sache, dass alle diejenige, die keinen Bart oder Kopftuch tragen, diese Szenarien weit von sich weisen. Die Mehrheit wird auch nicht bemerken, dass tausende wohlhabende Araber in diesem Jahr München bereits nicht mehr besuchen.

Natürlich bedient Wolfgang Schäuble ein konservatives Milieu in Deutschland, dem es leichter fällt, zu definieren, wer man nicht ist, als wer man ist. In diesen Kreisen muss der Innenminister heute schon seine harmlose und, wie es zu befürchten ist, auch ergebnislose Islamkonferenz rechtfertigen. Im gemütlichen Bürgertum, das Jahrzehnte versucht hat, die Werte Geld und Kultur eng zusammenzuhalten, ist es grundsätzlich „fremdes“, was unsere offene Gesellschaft bedroht und verrohen lässt. Dieses wertkonservative Klientel hat nicht nur seine Werte absolut vergöttlicht, sondern nun auch mit dem Bild des bluttriefenden Islamisten seinen absoluten Unwert und Gegensatz gefunden. Diese bösen, wertlosen Kreaturen werden künftig gejagt, getötet, zerstört, und im Interesse der absoluten Wertdurchsetzung auch dann, wenn Unschuldige in ihrer Nähe stehen.

Gegenseitige Bespitzelung, als Wort bereits in England hoffähig, ist die logische nächste Konsequenz und Herausforderung an den modernen Charakter. Die Begriffshoheit, in diesem Sinne zu entscheiden, wer ein Islamist ist und wer nicht, die Kraft, Werte zu setzen und durchzusetzen, wird zur innenpolitischen Machtfrage. Schon jetzt entstehen im Umfeld von Parteien und Fernsehanstalten Büros zur Bewertung religiöser Verhaltungen mit Ausschlussrechten. Man muss ein Narr sein, wenn man nicht erkennt, welche Abgründe die neue globale Sicherheitsrhetorik in sich birgt. Geschichtlich fallen diese aktuellen Forderungen zur nationalen Sicherheit mit dem beschleunigten Wesenswandel der Staaten hin zum autoritären Kapitalismus zusammen – ein Kapitalismus, der nicht nur die Demokratie nicht mehr nötig hat, sondern auch die großen Meinungskartelle unserer Teleokratie immer eindeutiger beherrscht. Der starke Staat und der starke Kapitalismus finden durch den nihilistischen Terror zusammen.