Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Warum Weimar?

Leitkultur? Kultur? Diese Begrifflichkeiten sind auch in Deutschland umstritten. Gibt es überhaupt noch so etwas wie ein alltägliches Kulturempfinden? Diese Frage stellt sich allen in Deutschland lebenden Menschen. In den 60er Jahren kannte noch beinahe jeder Schüler und jede Schülerin die wichtigsten Werke Schillers. Heute steht die Kultur, sozusagen die Religion des Säkularen, unter großem Verdrängungsdruck. Die Klassiker gibt und gab es, wenn überhaupt, an deutschen Theatern auch aus Kostengründen nur in entfremdeter Form. Gerade am faszinierenden Werk Schillers oder Goethes könnte sich aber eine zeitlose Debatte über essenzielle Themen wie „Erziehung“, „Freiheit“ oder „Schicksal“ entzünden. Die Aktualität der Klassiker ist jedenfalls kaum mehr zu überbieten. Gerade muslimische Jugendliche können mit besonderem Gewinn Schillers Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg oder Goethes West-Östlichen Divan lesen und diskutieren. Vorausgesetzt, man kennt noch die Werke Schillers und Goethes.

Ich erinnere mich noch gut an die kleinmütige Debatte über die „wirtschaftliche“ Zukunft des Nationaltheaters in Weimar. Kultur ist heute in erster Linie eine Geldfrage, ein Luxus von Sponsoren und eben Geldkultur. Etwas, was man sich leisten muss und – nach der Geldlogik – verliert, wenn man es sich nicht mehr leisten kann. Es passt, dass die Leitkulturdebatte thereotisch geführt, aber ihre Forderungen, vordergründig aus Kostengründen, kaum praktisch umgesetzt werden. Die Regisseurin Andrea Breth hat zu Beginn des Schiller-Jahres heftige Kritik am deutschen Theater und seinem Umgang mit den Klassikern geübt. „Wir können heute nicht mehr sagen, wir sind das Land der Dichter und Denker“, kritisierte die am Wiener Burgtheater tätige Regisseurin in der Wochenzeitung Die Zeit. „So wie derzeit bei den Theatern eingespart wird, bedeutet das, dass viele große literarische Werke auf der Bühne gar nicht mehr machbar sein werden“, sagte Breth. „Entweder werden die Theater selbst verschwinden, oder es wird die Ensembles nicht mehr geben, die nötig sind, um solche Werke zu spielen.“ Das heutige Theater sei ein „Supernaschmarkt ohne irgendeine Zielsetzung.“ Ja, die Frage nach der Kultur in einer globalen Welt ist am Ende nichts anderes als die eigene Frage als Gestalt. Breth, die 2006 am Burgtheater Schillers Wallenstein inszenieren wird, zweifelt dabei sogar an der Fähigkeit des – wie gesagt – „deutschen“ Publikums, sich mit Schiller überhaupt noch auseinander zu setzen. „Angesichts der zunehmenden Trivialisierung der Gesellschaft fragt man sich ohnehin, ob man Schiller noch machen kann, ob denn noch jemand wirklich versteht. Wenn man nicht mehr weiß, wofür man existiert, wenn man abstreitet, dass wir etwas zu vererben haben, wird es eng.“

Kein Wunder, dass es neuerdings Versuche gibt, den längst verlorenen Kulturbegriff vor allem gegen die Muslime und gegen den Islam dialektisch zurückzugewinnen. Was also tun? Die Lösung ist einfach und schlicht: Selber Theater, selber Kultur machen. Die IZ-Redaktion lädt LeserInnen, Muslime und Moscheegemeinden in die thüringische Stadt ein. Mit einem einfachen Gang durch die Stadt sollen Muslime die Stadt und ihre Kultur als Teil der eigenen Identität in Europa erfahren. Schiller, Goethe und Herder können bei dieser Selbsterfahrung durchaus relevant sein, und der Zugang zu ihren Werken ist nicht etwa Frage einer akademischen Vorbildung. Und es wirkt: Kaum ein muslimischer Jugendlicher konnte sich bisher dem Zauber der Klassik entziehen. Die Islamische Zeitung unterstützt so auch nebenbei die Forderung den Muslimen die deutsche Sprache näher zu bringen, denn – so lehrt es auch Ibn Al-Arabi – „die Sprache ist die Identität eines Menschen“. Mit diesem Slogan wird auch der geistige Fehlgriff des Nationalismus und Rechtsradikalismus deutlich, der die Identität eines Menschen mit seiner „Rasse“ verbindet. Ein unseliger und törichter Gedanke, der dem Weltbürgertums Goethes und dem Islam gleichermaßen fundamental entgegensteht.

Aus vielen Gesprächen mit muslimischen Jugendlichen wissen wir, dass gerade die Erfahrung der Landschaft und die Begegnung mit Land und Leuten für viele Muslime noch eher eine Randerfahrung ist. Für viele Muslime aus Berlin, zum Beispiel, die in der Stadt geboren wurden, ist das weitere Umland der Stadt noch immer weniger bekannt als das Umland von Istanbul oder Izmir. Das gemeinsame Reisen in einer Welt, die ja nach muslimischer Überzeugung eine Moschee ist, kann daher nicht nur „Brücken“ bauen, sondern auch zum wesentlichen Teil einer positiven Identitätsstiftung dienen. Man kennt das Land, in dem man zu leben gedenkt. Die neuen Moscheen könnten so dann eines Tages auch architektonisch in Europa ankommen und ihren sozialen und kulturellen Beitrag stiften. Zu einer gewünschten europäischen Verortung der neuen muslimischen Generation gehört natürlich auch der Besuch deutscher Schlüsselorte. Es gilt auch ein Zeichen zu setzen, dass niemand in diesem, besser unserem Land den Begriff, die Entwicklung oder die Deutung der sogenannten „Leitkultur“ gepachtet hat.

Eine Brücke muss auch von beiden Seiten begangen werden. In diesem Geist erschließt sich auch ein wichtiger Beitrag von Prof. Katharina Mommsen unter dem Motto: “Kultur ist Austausch!“ auf der Frankfurter Buchmesse. Dort heißt es weiter unter anderem: „Die Tendenz mancher Regierungen und Völker, sich in Besorgnis um die Reinerhaltung der eigenen Art, ängstlich von anderen Zivilisationen abzuschließen, ist ein bedenkliches Zeichen der Schwäche und kulturellen Niedergangs.“ Mommsen befürchtet in dem Beitrag weiter, dass sich auch Europa vor den großen, islamisch geprägten Kulturen verschließen könnte. Die Unkenntnis ist also nach Sicht Mommsens ein beidseitiger Mangel. „Warum wissen so viele Leser im Westen gar nicht, welchen großen Beitrag die arabische Dichtkunst zur Weltliteratur geleistet hat? Weswegen sind so viele europäische Intellektuelle bisher einer Auseinandersetzung mit der arabischen Zivilisation ausgewichen?“ Der Auftrag dieser zeitlosen Kulturdebatten sieht Mommsen in der Verhinderung eines Kulturkampfes: „‘Weltpoesie ist Weltversöhnung’. Die Weltliteratur kann und muss mit ihren friedlichen Mitteln den heillosen Zuständen… dem angeblich unvermeidlichen ‘Clash of Civilizations’ entgegen wirken.“ Die in Europa lebenden Muslime sind in sich der Aufweis, dass ein Kampf der Kulturen in Europa, einem Europa zwischen Granada, Sarajevo und Weimar, eine weiß Gott untaugliche Theorie darstellt.