Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Zeit des Verzichts

Es ist schon erstaunlich: Während die Welt den Atem anhält, ob die neuerlichen Turbulenzen an den Finanzmärkten einen schweren oder gar finalen Crash auslösen könnte, erleben wir Muslime in aller Gelassenheit die Bedeutungen und Segnungen der Fastenzeit. So üben wir den ganzen Tag lang Enthaltsamkeit von den üblichen Geschäften dieser Welt, während uns in den guten Nächten die Bedeutungen zufließen.

Der drohende Zusammenbruch der Schuldenwirtschaft kann den denkenden Menschen nicht wirklich überraschen. Reflexionen über die Verzahnung von Schulden und Zins, die fatale Möglichkeit endloser Geldproduktion (die kein Maß mehr hält und unsere Moderne kennzeichnet) – mit anderen Worten die Finanztechnik im Lichte der Offenbarung zu beurteilen, beschäftigt unseren Intellekt schon länger. Wer immer Religion für etwas Irrationales hält, dürfte über die kühle, vernunftbezogene Rationalität des islamischen Wirtschaftsrecht ins Staunen geraten. Das Maß, das sich darin verkörpert, steht in direktem Gegensatz zur Raserei unserer gesetzlosen Finanzmärkte.

Wer noch ein bisschen Verstand sein eigen nennt, sollte in dieser Zeit ein mal reflektieren, warum eigentlich dem „offiziellen“ Islam Sinn und Bedeutung der Zakat-Abgabe abhanden gekommen ist. Im Gegensatz zu vielen lautstark geführten Debatten rund um den Islam geht es hier nicht um eine Marginalie.

In Wahrheit verbirgt sich in diesem Pfeiler des Islam nicht nur die Verpflichtung zur Solidarität zwischen Arm und Reich, sondern die innere Ordnung der muslimischen Gemeinde überhaupt, jenseits der antiquierten, inzwischen sinnlos gewordenen ethnischen Trennungen. Die bekannte Maßgabe, die Zakat in Gold und Silber bezahlen zu müssen, entfaltet darüber hinaus in unserer Zeit einigen Sinn. Die lokale Verteilung der Zakat ist nicht zuletzt eine Manifestation unserer Sorge über das Wohlergehen der eigenen Nachbarschaft und ein Indiz dafür, dass man an seinem Ort überhaupt angekommen ist.

„Der Verzicht nimmt nicht, der Verzicht gibt“, auf dieses Philosophenwort Martin Heideggers spielen die Erfahrungen der Fastenzeit letztlich an. Der bewusste Umgang mit dem Verzicht ist gerade jetzt – in Zeiten großer ökonomischer Unsicherheit – überaus wertvoll. Sie berührt gleichzeitig eine fundamentale Glaubensfrage; die Frage nach der Versorgung. Im Qur‘an wird sie klar beantwortet: Die Versorgung ist in der jeweiligen Lebenszeit vom Schöpfer versprochen!

Natürlich lehrt dies nicht eine passive Haltung, sondern – wie mir ein Gelehrter einmal lächelnd erklärte – „man muss natürlich am Baum rütteln, damit die Ananas herunterfällt“.

Eine schönes Gleichnis für dieses Verhältnis und das darin angelegte Grundvertrauen – samt der Freiheit die diese Gewissheiten mit sich bringen können – findet sich in den Briefen von Schaikh Ad-Darqawi. In einem dieser wunderbaren Briefe wird von dem Gelehrten Sahl At-Tustari berichtet: Einer seiner Schüler kam in einer Krisenzeit eines Tages zu ihm. Er sprach ihn an: „Meister, Essen!“ Der Gelehrte erwiderte darauf nur „Allah“. Der Schüler war eine kurze Weile ruhig, kam dann zurück und rief, dieses Mal verzweifelter: ”Wir brauchen Essen!“ Der Gelehrte antwortete: „Wir brauchen Allah!“