Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Ägypten und die Freiheit

„Das jetzt als korrupt angeprangerte System basiert größtenteils auf einem importierten westlichen Kapitalismus neoliberaler Art, der die Wohlstandserwartungen einer schnell wachsenden Bevölkerung nicht erfüllen konnte; wohl auch deshalb, weil er – noch stärker und noch schneller als in seiner Heimat im Westen – die explosive Konstellation schuf, in der die Reichen, die Günstlinge des Regimes, immer reicher und die Armen immer ärmer wurden.“ (Joseph Croitoru, FAZ, 03.02.2011)

Im Fernsehen schreit ein junger Zahnarzt in Kairo seinen Frust in die Kameras. Seine Geschichte ist schnell erzählt. Der junge Mann lebt von 100 US-Dollar im Monat. Das ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Eine eigene Wohnung oder gar eine eigene Familie bleibt so natürlich ein Traum. Die ökonomische Situation und die Ungerechtigkeit im Lande hat den Mann mobilisiert, auch wenn das Für wen oder was noch verschwommen bleibt. Der allgemeine Protest eint bisher allein die Einsicht, dass es nicht noch schlimmer kommen kann.

Die Szene erinnert an den Welterfolg von Hans Fallada, „Kleiner Mann was nun?“. In seinem berühmten Buch schildert Fallada das Leben eines kleinen Angestellten und seiner Frau, die unter der Weltwirtschaftskrise leiden und statt des erhofften sozialen Aufstiegs den steten Abstieg in Arbeitslosigkeit und Armut erleben. Fallada beschreibt das verzweifelte Bemühen des jungen Ehepaars, trotz chronischen Geldmangels und eines kalten Staatsapparates die eigene Integrität und Würde zu wahren.

Am Horizont sieht Fallada dabei bereits die typischen Gefahren der Moderne, die dunklen Parolen der politisch-ideologischen Lösungsversuche, die den kleinen Mann von der Straße und seine Not zu instrumentalisieren versuchen. Auf Dauer führt diese Politik des Notstandes aber, neben der Sichtung von „Sündenböcken“, nur zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und schlussendlich zum Untergang. Europa ist von diesen Irrwegen der Ideologie bis heute geprägt.

Zwischen Rabat, Algier, Kairo und Tunis haben kommissarische Diktaturen die Menschen in die Enge getrieben. Nun sieht der Westen zögerlich ein, dass die alten Diktaturen zumindest modernisiert werden müssen. Nach Jahrzehnten der Alternativlosigkeit lassen die Brotpreise, unverschämte Korruption und die Arroganz der Oligarchen keine andere Wahl mehr. Es ist allerdings die Macht des Negativen, die die Menschen nun zusammentreibt – nur, wo sind die positiven Losungsansätze?

Die Hoffnung auf eine Beteiligung des Volkes in Form von Demokratie und Menschenrechten könnte die soziale Lage mildern, darf aber auch nicht über die Perspektiven der Länder hinwegtäuschen. Bisher sind nur zwei Alternativen zu Mubarak bekannt, der eine ist der Mann Israels, der andere der Mann der USA. Es ist naiv zu glauben, die Herrschaft des Volkes umfasse etwa künftig die Entscheidungshoheit über Militär, Medien und die Nationalbank.

Das ökonomische Schicksal der Region ist nicht von der Geschichte des Kapitalismus zu trennen. Der Tausch von Rohstoffen gegen Papiergeld ist der eigentliche Jahrhundertdeal des Kapitalismus. Zur Absicherung dieses Geschäftes waren lange Jahrzehnte alle Mittel Recht. Damit nicht genug, die Folgen der globalen Inflation spüren in der heutigen Wirtschafts- und Geldkrise die einfachen Araber nun sogar weit drastischer als in Europa oder den USA.

„Was nun?“ ist also die Frage und die Antwort schwierig. Kommunismus und Sozialismus sind gescheiterte Feldversuche in der Region. Nationalismus, zelebriert in Form von Verschuldung und einem nationalem Fußballteam, wenig Erfolg versprechend. Bliebe noch der politische Islam, vor dessen ideologischen und religionspolizeilichen Formen, in Gestalt der Hizbollah und Hamas, vor denen Israel, aber auch viele junge Araber zu Recht Angst haben.

Die Muslimbruderschaft und ihre zahlreichen Flügel zeigt das ganze Dilemma des „politischen“ Islam. Der politische Islam ist nicht nur unberechenbar, sondern in der Dialektik zwischen „liberal“ und „konservativ“ sehr wandlungsfähig und flexibel. Unter dem Druck der diktatorischen Verhältnisse ist aus Ägypten heraus bereits eine Art Ausnahmerecht entstanden und damit die endgültige Dominanz des politischen Denkens über das islamische Recht. Im klassischen Islam bestimmt aber das Recht die Politik, nicht die Politik das Recht.

Nach Jahren der Verfolgung und Drangsalierung ist die Krise der islamischen Lehre kein großes Wunder. Das islamische Recht steht nicht nur gegen Ideologie, verbietet nicht nur Selbstmordattentate und alle Formen des Terrorismus, sondern bietet mit seinem zeitlosen Wirtschaftsrecht gleichzeitig den Schlüssel zur eigentlichen Deutung der weltgeschichtlichen Lage. Nur wenn die Muslime auch den Weg zur Mäßigung des Kapitalismus finden, bleibt das Wort „Freiheit“ dabei kein Etikettenschwindel.