„Mich langweilt es, Leute zu lesen, die Verbündete sind, Leute mit ungefähr den gleichen Ansichten. Wirklich interessant ist es, den Feind zu lesen, denn der Feind durchbricht unsere Verteidigungslinien“ (Isaiah Berlin)
Alejandro González Iñárritus „Babel“ wurde 2006 als moderne Parabel auf den biblischen Turmbau angekündigt und stand in der Gunst der Kritiker, die ihn als einen gelungenen Film über kulturelle Codes und die Schwierigkeiten der (Völker-)Verständigung bewerteten. Inarritu zeigt, jenseits von gut und böse, in verschiedenen Episoden, an verschiedenen Schauplätzen, wie ein „Zufall“ oder das „Schicksal“ Menschen ein einer globalen Welt zusammenführen, ohne dass sie Ihre jeweilige Situation verstehen und ohne das sie das fatale Scheitern von Kommunikationsregeln bemerken.
Brilliant gelungen ist dem Regisseur beispielsweise die Inszenierung einer ungewollten Begegnung einer amerikanischen Reisegruppe mit der abgeschiedenen Welt eines marrokkanischen Bergdorfes. Nach dem unglücklichen Anschlag auf seine Frau, der durch globale Medien sofort als vermeintlicher Terroranschlag ausgeschlachtet wird, muss der Hauptdarsteller diese andere Welt, die er als Reisender eigentlich nur aus der Distanz betrachten wollte, wirklich erfahren. Ein überzeugender Brad Pitt erfährt in dem Dorf die Einfachheit der bedingungslosen islamischen Gastfreundschaft und die Wirkung einfacher menschlicher Solidarität in existentieller Not. In dieser archaischen Welt, im Rückfall auf das nackte Leben, gewinnt er endlich seinen Bezug zu seiner verloren geglaubten Frau zurück.
Der Regisseur selbst sagte, er habe mit seinem Film „den Widerspruch zwischen dem Eindruck, dass die Welt durch all die Kommunikationswerkzeuge, die wir hätten, kleiner geworden wäre“, erforschen wollen „und das Gefühl, dass die Menschen dennoch unfähig sind, sich selbst auf einem grundlegenden Niveau auszudrücken und untereinander zu kommunizieren“. „Ich versuchte zu zeigen, was mit uns momentan passiert. Wir sehen den 'anderen' immer als abstrakt, sodass Anders-Sein heißt, gefährlich und nicht fähig sein, den anderen zu verstehen. Dies geschieht nicht nur von Land zu Land, sondern zwischen Vätern, Söhnen, Ehemännern … Wir sind nicht mehr in der Lage zuzuhören.“
Grundsätzlich ist Inarritus Analyse zuzustimmen. Sie stimmt auch in unseren kleinen Verhältnissen. Es ist heute mühsamer geworden, eine Bühne für unvoreingenommene menschliche Begegnungen zu bauen. In den letzten Jahren haben wir versucht, neben der Islamischen Zeitung, die ein Sammelbecken unterschiedlicher Stimmen ist, auch andere Begegnungsformen zu entwickeln: die Reisen nach Weimar, die Musikevents oder die islamischen Märkte beispielsweise. In diesem – zugegeben – kleinen Rahmen ging es darum Bilder zu brechen, letztlich Vorstellungen über den Islam durch ein Gespräch mit Muslimen zu ersetzen.
Auch im politischen Feld hat eine orthodoxe politische Korrektheit und die deutsche Tendenz in „totalen Feindbildern“ zu leben, die heute zumeist indirekt miteinander kommunizierende Gesellschaft schwer beeinträchtigt. In Deutschland leben wir traditionell gerne in Schwarz-Weiß Bildern: Alle Ausländer sind gut oder schlecht, alle Islamisten sind böse, wer nicht für uns ist, ist gegen uns; wir sind gut, weil sie böse sind. Ideologische Gegnerschaft und persönliche Begegnung schließen sich aus. Es braucht daher abenteuerliche Herzen, die nicht nur entdecken, dass Kulissen verschoben werden, sondern auch hinter den Kulissen forschen.