Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Hadsch

Mehr als zwei Millionen Pilger aus aller Welt haben sich am Dienstag an den heiligen Stätten des Islams in Saudi-Arabien versammelt. Von der Zeltstadt Mina zogen sie zum Berg Arafat. Jeder, der auf der Hadsch war, erinnnert sich in diesen Tagen an seine Hadsch. Die Reise bleibt ein andauernder Quell eigener Reflexion auf den Sinn des Daseins. Obwohl man natürlich mit Millionen anderer Muslime pilgert, ist jeder doch auf seiner eigenen Lebensreise. Die Erfahrungen entsprechen dabei spiegelbildlich dem eigenen Zustand. Beobachten kann man das auch bei den Rückkehrern – die einen wirken gereinigt, verwandelt oder geläutert, andere beklagen sich über „mangelnden Standard der Unterkünfte“ oder anderen persönlichen Unbill.

Auf der Hadsch reist man ohne Pass, Geldbeutel und sonstiges Gepäck, es bleiben zwei Tücher und das nackte Leben. Ich erinnere mich an meine eigene Rückkehr. Einige befreundete Muslime empfingen uns am Bahnhof. „Oh“, sagte ein Bekannter, „du siehst aber verändert aus“. Bevor ich antworten konnte, meinte ein älterer, erfahrener Muslim aus dem Empfangskommitee nur trocken: „Wie würdest Du aussehen, nach der Begegnung mit einer millionengroßen Büffelherde?“.

An keinem Ort der Welt lässt sich die Vision Goethes eines solidarischen „Weltbürgertums“ so praktisch erfahren. Nationalismen oder soziale Unterschiede spielen auf der Hadsch keine Rolle. Nach offiziellen Angaben kamen dieses Jahr 1,7 Millionen Pilger aus dem Ausland. Die restlichen Pilger sind Saudis und ausländische Muslime, die in Saudi-Arabien leben. Auf die Hadsch folgt das Opferfest ('Id al-Adha), das an die auch in der Bibel erwähnte Geschichte von Abraham erinnern soll. An diesem Tag schlachtet jede Familie, die es sich leisten kann, ein Tier. Auch die Muslime in Deutschland feiern das Opferfest von diesem Mittwoch an.

Die Wallfahrt der Muslime, bei der die Pilger alle am gleichen Tag die gleichen Orte besuchen müssen, lief bislang ohne Zwischenfälle ab, was Augenzeugen – zumindest die, die gewohnt sind in Kausalketten zu denken – auf die gute Organisation zurückführten. Bei früheren Wallfahrten hatte es häufig Tote gegeben. Im Januar 2006 waren mehr als 300 Menschen zu Tode getrampelt worden. Dass es bei der darauffolgenden Hadsch keine Massenpanik gab, ist – so sagt man anerkennend – der Arbeit deutscher Experten geschuldet, darunter auch ein deutscher Muslim, die 2006 zusammen mit den saudischen Sicherheitskräften einen neuen Plan entwickelt hatten, um den Strom der Pilger zu kanalisieren.

Obwohl die Wissenschaft die ganze Erde entdeckt und vermessen hat, bleiben einige Orte unzugänglich. Da die meisten der Experten aus Deutschland keine Muslime sind, war ihnen der Zugang zu den heiligen Stätten in Mekka und Medina verwehrt. Sie mussten ihren Plan deshalb anhand von Videoaufnahmen von der vorherigen Wallfahrt entwickeln. Diese Kameras betrachten inzwischen auch an heiligen Orten das äußere Bild.