Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

CEBIT

Ich war dieses Jahr zum ersten Mal auf der CEBIT, der großen Technologiemesse in Hannover. Es wurde Zeit, denn bald könnte die Messe sich selbst abschaffen. Geht die rasante Entwicklung der Mikroprozessoren weiter seinen Gang, wird die beschwerliche Fahrt zur Messe selbst bald antiquiert sein. Warum mit müden Schritten lange Wege „offline“ gehen, wenn man doch „online“, mit ein paar Mausklicks zu Hause, seinen eigenen virtuellen Messegang erleben könnte.

In den riesigen Hallen finden sich immer noch die üblichen Sensationen: Roboter die bereits ohne Verschütten einen Kaffee einschenken und – so heißt es – bald für uns montieren, pflegen und operieren werden. Kleine Elektrofahrzeuge, die sich am Stadtrand in Rudel zusammenschließen und ohne Fahrer über die Autobahnen jagen sollen. „Clouds“, von Technikern erschaffene wolkenähnliche Gebilde, die riesige Datenmengen über unseren Köpfen regnen lassen können und gigantische Datenmengen jederzeit zugänglich machen oder aber Spiele, die in 3-D Qualität für viele Jugendliche das letzte Abenteuer sein werden.

Im Bereich der sozialen Medien spricht man nun bereits von „Webciety“ und damit von grundlegenden Veränderungen im Bereich des Staates, der Politik und der Historie.

Früher war unsere „Society“ auf nationaler Ebene vom politischen Streit, vom schwierigen Verhältnis von Regierenden und Regierten geprägt. In der globalen Webgemeinschaft geht es dagegen um das globalisierte Zusammenspiel von Usern mit ihren Servern, also um eine völlig neue Form der Ordnung, bis hin zu den neuartigen Autoritäten der E-Governance. Im Moment staunen wir noch, aber wir ahnen schon heute, dass die alten Gemütlichkeiten, die wir bisher als „privat“ und „öffentlich“ kennen, sich als Gegensätze in der Internetwelt handstreichartig auflösen.

Einen weiteren wichtigen Trend erklärte uns in einer spontanen Andacht ein junger Mann von Google+. Seine Botschaft: „Das Netz macht allgemein mobil“. Die Fakten geben ihm Recht. Dieses Jahr werden über 460 Millionen Smartphones verkauft werden und – human touch – es werden künftig jeden Tag mehr Smartphones gekauft als Kinder geboren. Da ist nur eine Nebensache, dass Untersuchungen bereits zeigen, dass der Mensch heute zuerst bemerkt, dass sein Telefon verloren ist, bevor er etwa seine Geldbörse vermisst. Die Umkehrung der Werte geht weiter. Bald sollen unsere Smartphones nicht nur unsere bescheidenen Möglichkeiten weiter optimieren, sondern auch das reale Geld in unserer Tasche unnötig machen.

Bei der ganzen Intelligenz die sich auf so einer Messe sammelt, können auch kritische Fragen gar nicht ausbleiben. Wo sind die Grenzen, wann wird die künstliche Intelligenz bedrohlich, wie verändert die Technik unsere Lebensbedingungen? Ist gar unsere Freiheit bedroht? Das Wort Sicherheit, Schutz, Kontrolle findet sich zumindest im Kleingedruckten der Hochglanzbroschüren.

In den Druckwerken der deutschen Philosophie gibt es schon lange eine große philosophische Tradition der Technikkritik. Carl Schmitt definierte schon lange vor dem Siegeszug des Internet, dass für ihn der Nihilismus nichts Anderes als die Trennung von Ordnung und Ortung sei. Martin Heidegger sah durch das Riesenhafte der Technik nicht nur die politische Souveränität des Menschen selbst bedroht, sondern mahnte darüberhinaus, dass die Gefahren, die das „Herausfordern der Schöpfung“ mit sich brächten, unübersehbar seien.

In Salsmaggiore Terme hatte ich am Wochenende die Gelegenheit, in einem Vortrag über das gelassene Verhältnis der Muslime zur Technik zu sprechen. Natürlich leben wir Muslime im Hier und Jetzt und nehmen die neuen technischen Errungenschaften interessiert zur Kenntnis. Die Idee des islamischen Modernismus aber, die jede neue Technik, von der Atomkraft bis zur Bank, einfach zu islamisieren versuchte, sind uns längst fragwürdig geworden. Es geht wohl darum, einen Mittelweg zu finden, der sich weder von blinder Technikeuphorie, noch von rückwärtsgewandter Romantik bestimmen lässt. Gerade im Bereich der allgegenwärtigen Finanztechnik sind Muslime in der Lage, aus den aktuellen Fragestellungen eine überzeugende Quintessenz zu ziehen.

In Zeiten, da das Internet eine Art Wirbelsturm wird, zunehmend Offenbarungscharakter beansprucht und die Form einer „gesetzgebenden Gewalt“ annimmt, bleiben Muslime natürlich in ihrer Offenbarung verankert.