Eine jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung deutet die Stimmungslage im Land: „40 Prozent aller Befragten meinen, die deutsche Gesellschaft würde durch den Islam unterwandert.“
Der Begriff der Unterwanderung entspricht dabei wohl kaum der Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland, sind sie doch auf den Entscheidungsebenen der Gesellschaft kaum repräsentiert. Das Meinungsbild spielt eher auf die diffuse Gestalt an, die viele MitbürgerInnen inzwischen mit dem Islam assoziieren. Vielleicht sollte man hier auch die Feststellung Kurt Tucholskys im Hinterkopf behalten: „Der durchschnittliche städtische Mitteleuropäer befindet sich fast immer im Vorstadium der Neurose.“
Überraschen können – trotz aller Vorbehalte gegen Statistiken – die Ergebnisse solcher Umfragen nicht. Signifikant in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, wenn es um Muslime geht, sind immer noch Bilder von „Terror“ und „Ideologie“. Oder aber der Bedeutungsgehalt von Symbolen wie dem „Kopftuch“ wird durch die Mehrheitsgesellschaft gleich selbst bestimmt. Selbstverständlich tragen Exzesse ideologisierter Muslime immer wieder zu einem falschen Eindruck bei.
Beobachtet man jedenfalls die aktuellen Debatten und ihre gewählte Sprache, ahnt man die Ausmaße des Projekts: Die Bedeutung des Islam in unserer Zeit einigermaßen zu vermitteln. Man denkt zugleich gegen die Verdrängung der jahrhundertelangen Existenz des Islam in Europa und die Ignoranz gegenüber den eigentlichen Fragestellungen, die sich aus seiner Lehre ergeben, an.
Naturgemäß ist der Einzelne bei der Darstellung der tieferen Relevanz des Islam überfordert und insoweit zur Teambildung mit Gelehrten, Sprachwissenschaftlern, Philosophen und Psychologen gezwungen. Nur so aber kann man mit einem ganzheitlichen Ansatz das eigentliche Verhältnis des Islam zu Begriffen wie „Einheit, Macht oder Freiheit“ im aktuellen Kontext überhaupt noch fassen.
Was ist Islam? Ausgangspunkt ist eine authentische – also keine willkürliche – Verortung in der islamischen Lehre selbst. In meinem Fall wäre das zum Beispiel das Recht von Imam Malik, die Aqida von Ibn Ashir und der Tasawwuf von Imam Junaid. Natürlich gibt es hier verschiedene legitime Ansätze und Traditionen. Sie drehen sich zunächst um die prophetische Lehre, der Islam sei „Islam, Iman und Ihsan“.
Darüber hinaus gilt es, an die fundamentale Bedeutung der sozialen und ökonomischen Einrichtungen des Islam – vom Markt bis zu den Stiftungen – für ein harmonisches und beitragendes Leben der Muslime zu erinnern.
Zur Orientierung braucht es weiter Kenntnisse einer Rechtsschule, um sich in der Unterscheidung unseres Weges von der „Esoterik“ einerseits und von modernen Ideologien andererseits zu üben. Die einseitige Politisierung des Islam, die die letzten Jahrzehnte des muslimischen Denkens prägte, ist eine Kernfrage unserer Zeit. Gleichzeitig bedarf es im Umkehrschluss auch einer kritischen Betrachtung der Geschichte der Rechtsschulen; insofern, als sich inzwischen oft nur noch in einem Subordinationsverhältnis befinden und als eine Art „Staatsislam“ manifestieren.
Da wir in die Situation der Moderne hineingeworfen sind, müssen wir parallel dazu die Geschichte moderner Leitbegriffe wie Staat oder Gesellschaft verstehen. Neue Machttechniken haben zu Irritationen über das Verhältnis der Tradition und ihrer Quellen zum Leben im hier und jetzt geführt. Letztendlich gilt es, über das Phänomen der Technik bis in zur Herausforderung der Schöpfung durch die Finanztechnik aus muslimischer Sicht heraus nachzudenken.
Zudem gilt es sich immer wieder an den alten Leitspruch zu erinnern: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Auf der Ebene der ‘Ibadat ist dabei die Erhebung der Zakat eine zeitlose Praxis, die heute in sich schon neue Horizonte und notwendige Veränderungen eröffnen.