Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Der freie Imam und seine Gemeinschaft

Ich glaube, es ist nur eine kleine Sensation: natürlich gibt es viele muslimische Jugendliche in Deutschland, die nur unzulänglich wissen, was der Islam überhaupt ist, ihn nur halbherzig praktizieren, kulturelle Gepflogenheiten mit islamischen Gesetzlichkeiten verwechseln, sich schlicht schlecht benehmen und wohl auch von einer verzweifelten Identitätssuche getrieben sind. Besorgniserregend ist dabei tatsächlich die Flucht einiger Jugendlicher in eine kalte, radikale, ortungslose Internet-Theologie, die eine Kultur oder eine Gemeinschaft als lästig empfindet und solche natürlichen „Kompromisse“ nicht mehr hervorbringen will.

Einige Verwirrrung bei jungen Muslimen stiftet auch eine politisch motivierte Sympathie für Bewegungen wie die Hamas, die nicht mehr unterscheidet und klar macht, inwieweit diese politische Ideologien – aus welchen Gründen auch immer – das islamische Recht dominieren, verlassen und offen negieren. Wenn die Gemeinschaft auch keine Aktivitäten mehr vor Ort entfaltet, gewinnt der Aktionismus in der Ferne beinahe naturgemäß an Faszination. Es ist jedenfalls klar, die komplexen Umstände und ihre Ursachen, die man für den Zustand muslimischer Jugendlicher heute verantwortlich machen kann, lassen sich durch Statistiken und Befragungen, die ja immer auch politisch motiviert sind, nur sehr schwer aufarbeiten.

Grober Unfug ist natürlich die Gleichung, eine (subjektiv) als gesteigert erfahrene religiöse Identität führe zu einer höheren Gewaltbereitschaft. Ich war gerade einige Tage auf dem Balkan und habe diesen angeblichen Trend bei muslimischen Jugendlichen – in einer der ärmsten Krisenregionen Europas – durch nichts bestätigt gesehen. Bezeichnend ist es, wenn die pseudo-wissenschaftlichen Beobachtungen über desperate und ignorante Muslime den Bedeutungszusammenhang „Islam-Sicherheit -Kriminalität“ in der Öffentlichkeit weiter zementieren wollen und so nur zu dem durchschaubaren Versuch gehören, den Islam weiter als „gefährlich“ zu diskreditieren und damit rigide Kontrollstrategien zu rechtfertigen.

Natürlich liest man auch aus einigen Kommentaren dieser Tage bereits die politische Absicht heraus, die nun fordert, der zur Neutralität verpflichtete Staat müsse nun, sozusagen „sicherheitshalber“, selbst die Ausbildung von Imamen übernehmen. Das islamische Ideal wird nicht durch eine abgehobene Kaste, allwissender „muslimischer Theologen“, repräsentiert, sondern, aus meiner Sicht, ist die islamische Lehre nur dann in sicheren Händen, wenn die breite Masse der Muslime selbst ausreichend gebildet ist, um aus ihren Reihen ihren vertrauenswürdigen Imam zu wählen. Diese Auswahl setzt einen lebendigen, lernbereiten, gemeinschaftlichen Verbund voraus und ist nichts Anderes als ein basisdemokratisches, lokales Prinzip.

Die Freiheit der Lehre ist dann in Gefahr, wenn politische Verbände, seien es Staaten oder Organisationen, die Lehre bevormunden. Ohne die geistige Freiheit in den Moscheen werden noch mehr Jugendliche sich von der durchsichtigen „Ordnung von oben“ abwenden. Die Achtung vor jedem Imam sinkt eben, wenn dieser sichtbar nur noch ablesen darf, was an einem Freitag aus seiner Sicht zu sagen ist. So gesehen muss in einer offenen selbstbewussten Gemeinde gerade die, übrigens auch finanzielle, Freiheit des Imams geschützt werden.

Die Krise der Lehre ist heute durch viele Phänomene sichtbar. Selbstbewusste, gebildete und freie Imame werden ihren Jugendlichen jedenfalls aktiv zeigen, welche Errungenschaften der deutschen Kultur nützlich sind. Sie werden es nicht gut finden, dass ihre Moschee nur durch eine Ethnie geprägt ist, weil sie spüren, dass Jugendliche in dieser Atmosphäre verwechseln könnten, was den Islam im Kern ausmacht und was Kultur oder Nation geprägt hatten. Diese Imame wissen natürlich, dass ohne die aktive Einbindung der muslimischen Frauen auch die Jugendlichen verloren gehen. Diese Imame werden schlußendlich eine Identität fürchten, die sich durch ein negatives „Gegenbild“ gegen die Anderen und nicht durch eine absolut positive, einladende und überzeugende Lebenspraxis ergibt.