Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Der Idiot und seine Zeit

(iz). Die islamische Lebenspraxis umfasst auch einen aktiven Intellekt. Zum Glück bieten zeitgenössische Autoren diesbezüglich nicht nur immer wieder Sammlungen an, sondern auch Aussicht auf Unterscheidung und Höhe. Ein Buch in die Hand zu nehmen, mit Passagen, die sich leicht offenbaren, aber auch Zeilen, mit denen man arbeiten muss, bis sie es in sich haben oder auch nicht, ist etwas ganz anderes, als sich nur der einebnenden Flutung mit schnellen Informationen auszusetzen.

Inflation, wenn sie herrscht, ist heute nicht nur etwas, das wir in unseren Geldbeuteln spüren. Es ist auch eine Kultur, nicht zuletzt einer bestimmten Art der Kommunikation, die Zensur nicht etwa dadurch leistet, dass sie Bücher verbietet, sondern dadurch, dass sie den Markt mit ihnen überflutet.

Botho Strauß schreibt Bücher. Er ist ein Autor, der sich immer wieder bewusst dem Spektakel der Öffentlichkeit entzieht, Sprache aus dem Rückzug heraus findet und zelebriert, es meisterhaft vermag, nicht nur überraschende Ausblicke zu gestalten, sondern Sätzen auch immer wieder ein neues Gewicht zu entlocken. In einer Münchner Buchhandlung hat mich sein neuestes Werk angesprochen, zunächst der Titel „Lichter des Toren“, dann die Unterzeile „Der Idiot und seine Zeit“. Da konnte ich natürlich nicht einfach vorbeigehen, zumal ich es immer „idiotisch“ fand, sich in ein Lager zurück­zuziehen, statt das Abenteuer der Begegnung mit dem Anderen, auch Andersdenkenden, einzugehen. Der Vollidiot ist ja oft der, der nur gewohnt ist, mit Gleichgesinnten den Austausch zu pflegen.

Nicht alles, was der Autor sagt, verstehe ich, aber was ankommt, trägt. Kein Parteiprogramm. Nicht nur denken, was „man“ denkt, sondern, so Strauß, „wir anderen müssen neue unzugängliche Gärten bauen!“ So empfiehlt es uns der Schriftsteller und erklärt zugleich den aktuellen Trend hin zum kleinsten gemeinsamen Nenner: „Von Massenbewe­gungen fasziniert, unterschlägt der intel­lektuelle Götzendienst vor dem Populä­ren die banale Erfahrung, dass diese Anrufung, immer der Quote nach, stete Anpassung nach unten verlangt“.

Und – der Gedanke von Strauß ins Politische übersetzt: „Nicht feind der Demokratie, jedoch der Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche, feind dem demokratischen Integralismus.“

Die Tendenz zur Quasi-Demokratisierung von Inhalten lässt sich auch im politischen Islam erkennen, oft durch den zweifelhaften Versuch, nach der Bildung wechselmütiger Mehrheiten, aus dem Islam endgültig eine Parteiung zu machen. Während die Lehre, welche die Essenz des Islam tatsächlich verbürgt – wie immer die Verhältnisse seien –, die eigentlichen Inhalte hoch hält. Man denke nur an die Zakat, das Zinsverbot oder die weiteren Regeln der Mu’amalat und diese Gesetzlichkeiten gerade als notwen­dige Mäßigung des politisch Möglichen durch das Recht versteht. Es ist wohl deswegen, dass sich authentische Lehre von Parteien, geschweige Ideologien, fern hält.

Wir erleben so den verbreiteten Verlust der Unterscheidungsfähigkeit, das Nachbeten von Losungen („wer nicht für uns ist, ist gegen uns!), so als wäre die Um­setzung eines „Parteiprogramms“ – wenn auch von Muslimen unterstützt – schon dasselbe wie die Etablierung des islamischen Nomos, gekennzeichnet durch die Einheit von Gebet und Zakat im Kontext von Moschee und Markt. Parteilich­keit ist weder das Resultat, noch das Indiz islamisch inspirierten Denkens.

Interessant, dass für Strauß die Erken­nung des „Islam in der Nachbarschaft“ mit der Anerkennung einiger seiner Inhalte einhergeht (während heute viele Muslime sich einer plakativen Öffentlichkeit unterwerfen, die bereit ist, Anerkennung zu gewähren, allerdings nur unter Aussparung seiner Inhalte): „Wir drängen den neben uns wohnenden Muslimen unentwegt unsere Freiheiten auf, denken aber nicht daran, auch nur das geringste von ihrer sittlichen Freiheitsbeschränkung nachahmenswert zu finden oder auf uns abfärben zu lassen. Das Abfärben soll nur einseitig geschehen.

Dabei täte etwas mehr Familie, etwas väterliche Stärke einem Erziehungsverhalten gut, dessen Schwächen allenthalben von staatlich geförderten Hilfen kostspielig kompensiert werden. Autorität zu bezweifeln, gehört jedoch zu den Pflichten, die der demokratischen Übereinkunft selbstverständlich erscheinen und die ihr leichtfallen.

Im Zuge des Bevölkerungswandels werden sich möglicherweise andere Prioritäten herausbilden, als sie heute gültig sind.“

Selbst aus dem Thema der Verhüllung, eigentlich eine Marginalie, bezieht der Denker andere, überraschende Inspiration und stellt vielmehr die Frage nach der eigenen, zumeist als einfach gegeben und somit vorausgesetzten Freiheit. Das verbreitete Spiel, „wir sind frei, weil ihr unfrei sind“, genügt Strauß da nicht.

„Aber Ihr Freizügigen! Seid ja geschlossener verhangen als jede Muslimin im Ganzkörpertuch. Eure Burqa ist ein feste Hülle aus Sprachlumpen, aus Nicht-Erscheinen und Nicht-Blicken können. Ihr seht einander nicht und was ihr sagt, bleibt ungesagt.“

 

Rezension wurde am 30.08.2013 in der IZ veröffentlicht.