Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Die Welt steht noch immer unter dem Eindruck der Nachrichten aus dem heiligen Land. Das Jahr 2014 wird in die Geschichte des endlosen Konfliktes eingehen und die unverhältnismäßige Kriegsführung Israels mit über 2000 toten Zivilisten an den Pranger der Weltöffentlichkeit stellen. Im gleichen Jahr, im Frühjahr, hat der Bestsellerautor Frank Schätzing seinen Roman Breaking News vorgestellt.

Foto: Michael Movchin, Link zum Foto | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der Kölner Schriftsteller hatte zuvor mit dem Buch Schwarm einen Welterfolg gelandet und Millionen Leser für die unbekannten Sphären der Tiefsee begeistert. Kritiker nannten den Schriftsteller bereits den „Messias der Spannungsliteratur“. Beim Thema Israel berührt ein deutscher Roman ganz andere Tiefen und unzählige Empfindlichkeiten.

Ist Schätzing überhaupt der richtige Mann für dieses sensible Thema? Man muss sagen ja, denn er wird seinem eigenen Anspruch bei der Beurteilung der Konfliktparteien gerecht: Kritik ja, aber auf Grundlage genauester Recherche! Als Qualitätsmerkmal darf hier wohl gelten, dass Ideologen aller Konfessionen mit dem Werk nicht ganz glücklich sein dürften.

Schätzing, der in seinem Selbstverstän­dnis Religionen eher ignoriert, wagt in sei­nem neuen Roman eine Gratwanderung. Er schildert in einem Unterhaltungsroman auf beinahe 1.000 Seiten nicht nur die Abenteuer des Journalisten und Weltenbummlers Tom Hagen, sondern auch die historischen Hintergründe, die insbesondere die anhaltende Zerrissenheit Israels bis heute ausmachen. So schwanken die Passagen des Buches zwischen Actionszenen, Liebesgeschichte und Familienchronik hin und her und Schätzing wechselt immer wieder geschickt die Zeitebenen und Perspektiven. Langweilig wird das nie.

Die Idee für seinen Thriller kam ihm beim Frühstück, genauer,  bei einer Diskussion mit Freunden über die politische Rolle des verstorbenen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Der umstrittene Hardliner, der 2006 in ein Wachkoma fiel, wird im Roman Opfer einer mörderischen Intrige. Teile des Inlandsgeheimdienstes wollen ihn töten, weil er ausgerechnet in seiner Amtszeit den Gaza-Streifen von den israelischen Siedlern räumt. Schätzing spielt so auf die inneren Spannungen Israels an, die, zwischen radikalen Siedlern und liberalen Kräften, jederzeit auch in einen Bürgerkrieg führen können.

Ein guter Einfall ist auch, dass der Journalist Hagen auch deswegen in Todesgefahr gerät, weil seine ursprünglich erfundenen Breaking News für die Heimatredaktion plötzlich tatsächlich wahr werden.

Die „verstehenden“ Schilderungen über das Leben Scharons, die den Thriller begleiten, mögen für viele Muslime, die dem Strategen die Verantwortung der Massaker von Sabra und Schatila geben, bereits eine Zumutung sein. Aber tatsächlich gelingt es Schätzing, auch mit der Schilderung diverser Familiengeschichten, die vor der Gründung Israels beginnen, die Beweggründe und Abgründe der anderen Seite zu erklären.

Klar wird auch, dass die Geschichte Israels nicht etwa mit dem Holocaust beginnt, sondern mit der Gründung der Bewegung der Zionisten.

Schätzing, dem vorgeworfen wurde, sein Roman sei zu israelfreundlich, zeigt de facto immer wieder auch die Verhärtungen in der israelischen Gesellschaft auf, insbesondere im Militär. „Natürlich finden Sie auch in der Westbank siedlungskritische Soldaten, aber die bekommen den Druck der religiösen Lobby zu spüren. Immer mehr hohe Offiziere hängen nationalreligiösen Ideologien an“, schreibt Schätzing durchaus treffend. Zwar spielt sein Roman eher auf der Seite Israels, aber der Journalist Hagen und seine jüdische Freundin begegnen auch Palästinensern in Nablus, ohne deren Hilfe sie nicht überleben würden.

Man mag die Frage stellen, angesichts der dramatischen Ereignisse im Nahen Osten, ob es legitim ist, das Geschehen überhaupt als Bühne für einen Thriller zu nutzen. Wer aber mit Recht der ­Meinung ist, dass Literatur alles darf, wird in dem Buch nicht nur seine Geschichtskenntnisse auffrischen, sondern auch das Drama der Menschen in der Region ­besser verstehen. „In ihnen wohnt die Lösung“, heißt es im Buch. So gesehen ist Breaking news wohl vor allem gute Lektüre für junge Menschen aller Couleur.

Frank Schätzing, Breaking News, Kiepenheuer & Witsch 2014, gebunden, 976 Seiten, ISBN: 978-3462045277, Preis: EUR 26,99 (9,95 im Hörbuch-Download bei Amazon erhältlich)