Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Der Klassiker auf dem Divan

Gibt es besondere Stätten, auf die sich ein Volk in einer Identitätskrise ­rückbesinnen kann? Wenn ja, dann drängt sich Weimar auch heute als die ­Kulturwerkstatt der Nation auf. Noch immer zieht die Stadt hunderttausende Besucher aus Ost und West und aus aller Welt in ihren Bann. Aber auch viele junge Studenten, die die Bauhaus-Universität oder die Hochschule für Musik Franz Liszt besuchen, prägen das Stadtbild. Auf nur weni­gen Quadratkilometern finden sich Bibliothek, National­theater, Schloss, Museen und die Privathäuser der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Klassik.

In Thüringen, zwischen dem Wissenschaftsstandort Jena und der thüringischen Hauptstadt Erfurt gelegen, hat die schöne, aber arme Kulturmetropole wenig zum Brutto­sozialprodukt beizutragen, fasziniert aber bis heute als Schicksalsort deutscher Geschichte. Obwohl im Krieg stark zerstört, sind spätestens seit der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas beinahe alle wichtigen Baudenkmäler renoviert. Goethe- und Schillerhaus sind aufwendig neu gestaltet und der berühmte Ilmpark scheint sich jeder ­Jahreszeit immer wieder neu anzupassen. Auch wenn das Städtchen heute ein wenig den Charme eines Freiluftmuseums verströmt, ist es noch immer der faszinierende Anknüpfungspunkt an das Auf und Ab deutscher Geschichte. Hier am Flüßchen Ilm herrschte die deutsche Klassik und wurde die Weimarer Republik tituliert. Ideologen und Ideologien hielten in der Stadt Einzug und – auf einer Anhöhe über dem scheinbaren Idyll gelegen – erinnert das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald an die Schreckenszeit des Nationalsozialismus. An gleichem Ort, wo später das furchtbare Lager entstand, hatte 1827 Goethe noch nichts ahnend Eckermann auf einem Ausflug «hier fühlt man sich groß und frei« zugerufen. Natürlich ist es aber das «goldene Zeitalter», das nachhal­tig das Bild der Weimarer Klassik bestimmt. Die seltene Symbiose von Geist und Macht bestimmt den Mythos ­dieser Zeit. Während der Regentschaft der Herzogin Anna Amalia und unter ihrem Sohn Carl August, am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts, waren geistige ­Größen wie Wieland, Goethe, Herder und Schiller in dem ­kleinen Städtchen mit weniger als zehntausend Einwohnern anwesend. Vor allem das Universalgenie Goethe mischte sich auch als Minister kräftig in die Tagespolitik des kleinen Fürstentums ein. Die politischen Nachbeben der Französischen Revolution beschäftigte auch am Fürs­tensitz Vereh­rer und Gegner gleichermaßen. Carl August selbst galt allerdings als tolerant und aufgeklärt und gab dem Kleinstaat als erster deutscher Monarch 1817 eine Verfassung.

Es sind die Jahrhundertgestalten, Goethe und Schiller, die das Bild Weimars in der Welt bis heute entscheidend ausmachen. Hier entstand die berühmte Freundschaft der beiden Genies, in der Nachbarschaft von Dichten und Denken. In Weimar pflegten die Größen ihrer Zeit ihre «Debatte» über die anstehenden Jahrhundertfragen, und ihre hintergründigen Theaterstücke konnten jederzeit ­Revolten und Aufruhr auslösen. Beeindruckend ist das überlieferte Niveau des Gesprächs bis hin zur sensiblen Ausgestaltung strittiger Fragen. In ihren Werken und Gesprä­­chen spiegeln sich die Fragen nach der Bedeutsamkeit der nationalen Zugehörigkeit, nach dem Weg des Säku­larismus oder nach der Bewahrung der persönlichen ­Freiheit des Individuums. Kurios mutet dagegen der brachiale Versuch der moder­nen Ideologen an, die beiden deutschen Vorzeigedichter für sich zu vereinnahmen. Insbesondere die National­sozialisten pflegten einen schäbigen Kult um die Dichterstadt, oft genug im eklatanten Widerspruch mit den eigentlichen Überzeugungen der «Klassik». Im Jahre 1932 hielt Thomas Mann in Weimar einen Vortrag, der anschließend im Völkischen Beobachter verrissen wurde. Mann lobte ausdrücklich den deutschen Weltbürger Goethe, der sich gegenüber jedem Nationalismus, so Mann, «kalt bis zur Verachtung verhalten habe». Einige Jahre später wurden Goethe und Schiller dennoch von den Nazis skrupellos als «geistige Führer» vereinnahmt und reduziert. Die Narben dieser Zeit sind bis heute sichtbar. Bei einem Rundgang durch die Stadt ist es das so genannte Gauforum, zwischen Bahnhof und Innenstadt gelegen, das wie ein unheimlicher Fremdkörper das eigentliche Maß der Stadt zerstört und neben dem Hotel Elephant am Marktplatz, in dem Hitler ein und aus ging, das zweite Symbol des politischen Einflusses der Nazi-Schergen in Weimar ist. Im Angesicht der Machenschaften im Weimar jener Tage liest sich Goethes geschichtliche Einsicht vielsagend, dass «alle im Rückschreiten und in der Auflösung begriffenen Epochen subjektiv sind, dagegen alle fortschreitenden ­Epochen eine objektive Richtung haben». Eignet sich aber das Weimar Goethes und Schillers, neben der Tatsache, ein beliebtes und klassisches Ausflugsziel für Schulklassen zu sein, auch heute noch als Bezugspunkt ­unserer aktuellen Debatten? Zweifellos finden sich in ­Weimar für jeden nachdenklichen Menschen zahllose ­Anknüpfungspunkte. Denkt man an die zwei großen ­Diskus­sionen dieses Jahres, den Streit um die Ursachen der Finanzkrise und die Mängel der Integration im Lande, dann stiften die Weimarer Dichter durchaus noch «heißen» ­Gesprächsstoff. Goethe, beispielsweise, der nach eigenen Worten immerhin den Verdacht nicht ablehnte, «selbst ein Muselmann zu sein», hatte trotz des extrem negativen Islambilds zu seiner Zeit seine Seelenverwandtschaft zum Islam und seinem Propheten entdeckt. Der aus seiner Sympathie ­resultierende gesellschaftliche Skandal bekümmerte den Dichterfürsten wenig. Amüsiert beobachtete Goethe das ­Getu­schel am Hofe, wenn er versuchte, den Koran zu entziffern. Auch in Sachen Islam blieb der Dichter letztlich ­seiner wissenschaftlichen Maxime treu, dass man eine Sache lieben muss, um sie ganz zu verstehen. Goethe verfügte ­übri­gens schon zu Lebzeiten – in seinen Verfügungen ­­be­züg­­lich seiner Grabstätte – die Verbannung aller christlichen Symbolik. Die christliche Trinitätslehre vertrug sich nicht mit dem ganzheitlichen Denkansatz des Meisters . Zu den Kennern dieser spannenden Ost-West Materie gehört neben der Autorin des bekannten Buches Goethe und der Islam, Katharina Mommsen, auch Manfred Osten, ­ehemaliger Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Osten referiert­ ­im­mer wieder über Goethes West-Östlicher Divan und sein ungewöhnlich offenes ­Islambild. Osten bedauert dabei den vergeblichen ­­­Ver­such Goethes, «die euro­zentristische Beleh­rungsgesellschaft wieder in Rich­tung der Lerngesellschaft zu transformieren». Diese Lern­­­gesellschaft habe es, so Osten, leider nur um das 12. Jahrhundert in Europa gegeben, als viele Grundlagen der Wissenschaft und Philo­­sophie aus der islamischen Welt nach Europa gelangten und muslimische Gelehrsamkeit als Quelle der Inspiration galt.

Der West-Östliche Divan ist im Grunde eine fesselnde ­Dialog­­strategie, um auch künftig zwischen Ost und West auf dem eurasischen Kontinent zu vermitteln. Osten wies darauf hin, dass das persische Wort Divan eine «Versamm­lung weiser Männer» bezeichne und für Menschen in der islamischen Welt positiver besetzt sei als der als «Streit­­ge­spräch» verstandene Begriff «Dialog». Die kalte Aus­übung von Toleranz war für ­Goethe sowieso nicht gut genug. Den Toleranzbegriff habe er vielmehr mit den Worten ­«dul­den heißt beleidigen» kritisiert, da echte Toleranz in Aner­kennung und Respekt übergehen müsse. Im Divan habe Goethe jedenfalls, so Osten resümierend, die Summe seiner tiefen Beschäftigung mit dem Islam gezogen. In Goethes Konservativismus wird heute eine Art visionäre Zeitkritik gesehen, die durchaus bis in das heutige Internetzeitalter nachklingt. Goethe hatte sich, ­angesichts der neuen bahnbrechenden Tech­nologien, für eine Entschleunigung interessiert, die im Gegensatz zur ­«ve­lo­zife­ri­schen Kultur» des ­Wes­­­tens stehen könne, in der Goethe eine ­«Geschwin­dig­keit, die des Teufels ist» sieht. Goethe fürchtete an der sich im rastlosen Aufbruch befindenden west­­­­lichen Welt, sie könnte eine ­«gedächtnislose Gesellschaft» werden, die durch Aufklärung, Reformation und französische Revolution ihre Wurzeln vergisst und am Ende sogar zerstört.

Im zweiten Teil des Faust verknüpft der Wirtschaftsminister Goethe bekanntermaßen seine Zweifel an den Möglichkeiten ewigen Fortschritts mit einer harschen, ökonomischen Kritik an der illusionären Natur des ­Papier­geldes. Hier eröffnet sich der zweite große Beitrag ­Goethes für die aktuelle Debatte, den das deutsche Bil­dungs­bürgertum im Grunde jahrzehntelang übersehen hat. In seinem Hauptwerk geht es um nichts Anderes, als das Dogma der Moderne – das ökonomische Wachstum als Maßstab für die dauerhafte Entwicklung der Menschheit – zu entschlüsseln.

Die Loslösung des Geldes von eigentlichen Werten eröffnet eine atemberaubende ­Dynamik, die schon den alten Goethe tief beunruhigt. Der St. Galler Ökonom Hans Christoph Binswanger widmet diesem Thema ein ­brillantes Buch mit dem bezeichnenden Titel Geld und Magie. Für den Wirtschaftsphilosophen Binswanger ist der Faust mit ­seinen Beschreibungen über die Erfindungen der Notenbankpresse sogar ein Lehrbuch der Volkswirtschaft und «von einer kaum fassbaren» Aktualität. Spätestens bei diesen Fragen blitzt das Genie Goethes wieder auf und damit die alte Faszination Weimars.

(Aus Compact-Magazin)