Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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Der Fall des Euro – Der Beginn einer Jahrhundertdebatte

Es ist die Ironie der Geschichte: China will zur Stabilisierung des Euro noch mehr Staatsanleihen europäischer Schuldensünder aufkaufen. Ausgerechnet die kommunistische Regierung reicht den Kapitalisten aller Länder die Hand. Neben den Afrikanern und Amerikanern werden die Chinesen nun auch die Europäer vor dem Ertrinken retten müssen. Globalisierung zeigt sich so wieder einmal als die effektive Einebnung aller gewohnten politischen und kulturellen Trennlinien.

Zum Auftakt seiner Europa-Reise kündigte der chinesische Vize-Premierminister Li Keqiang in Madrid neue Geschäfte an. Peking bedeutete unter anderem, spanische Anleihen kaufen zu wollen. „Wir sind ein zuverlässiger und langfristiger Investor und setzen deshalb auf den Finanzplatz Spanien.“ Beide Staaten unterzeichneten nebenbei Wirtschaftsabkommen im Wert von 5,6 Milliarden Euro.

Die Strategie bei der chinesischen Shopping-Tour durch die wichtigsten europäischen Hauptstädte ist einfach: Peking kauft Teile der Wirtschaft und damit auch einigen Einfluss auf die europäische Politik. Das Spiel dürfte noch einige Runden weitergehen – China verfügt über gewaltige Devisenreserven von rund 2,8 Billionen US-Dollar.

Nach der lautlosen Symbiose ehemals feindlicher Systeme, die die Euro-Krise endgültig deutlich macht, wird auch über die Politik des 21. Jahrhunderts neu nachgedacht werden müssen. Der autoritäre Kapitalismus wappnet sich für weitere feindliche Übernahmen und wird in seiner Funktion als neuer Mega-Gläubiger praktisch unangreifbar. Für die selbstbewussten Chinesen ist dabei der ökonomische Mehrwert die einzige entscheidende Kategorie. Die Politik reagiert ernüchtert: Wer redet schon Klartext mit seinem Gläubiger?

Der ökonomische Ausnahmezustand ist eine Kategorie des Regierens, die nach den diversen Rettungsaktionen für den Euro nicht mehr ignoriert werden kann. In den letzten Jahrzehnten bricht in Europa nicht die Politik, sondern die ökonomische Macht das Gesetz. Als globale Finanztechnik wird das Finanzsystem dabei so mächtig, dass der Mensch sich für sein geistiges und politisches Überleben wieder auf seinen ganzheitlichen Zusammenhang rückbesinnen muss.

Die Eurokrise erinnert die Europäer im Kern an das verlorene Primat der Politik. Besonders im Mutterland der D-Mark regt sich langsam geistiger Widerstand. Für Aufsehen sorgte unlängst eine Veröffentlichung des ehemaligen BDI-Chefs Hans-Olaf Henkel. Unter dem Titel „Rettet unser Geld“ kritisiert der ehemalige Industrieboss das Versagen der Politik. Henkel fühlt sich getäuscht. Alle Garantien für die Stabilität des Euros, die den Deutschen für die Aufgabe der D-Mark versprochen worden sind, wurden bei der Griechenlandkrise ohne größere Not über Bord geworden.

Die eigentliche Hüterin der Finanzverfassung der Bundesrepublik, die Bundesbank, wurde bei der Gründung des Euros entmachtet. Helmut Kohl habe die Zustimmung Frankreichs zur Wiedervereinigung, so liest man es in Henkels Buch, mit der Aufgabe der D-Mark erkauft. Immerhin habe aber der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel die europäische Finanzstruktur zunächst nach DIN-Norm, nicht etwa nach französischem Vorbild („laissez faire“) konstruiert. Für die in Finanzfragen konservativen Deutschen war die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank und die Verhinderung einer Transferunion natürlich nicht verhandelbar.

Dann kam, was Olaf Henkel nur den „Putsch“ nennt. Erst wurden Defizitverfahren nicht ernst genommen, die Maastricht-Kriterien aufgeweicht, die Amigos aus Griechenland ins lecke Boot genommen und dann als vorläufiger Höhepunkt der europäische Schuldenrettungsschirm aufgespannt.

Im Mai 2010 hatte Sarkozy Angela Merkel mit Sturm, Böen, der Angst vor dem sofortigen Untergang der Währung, der Nation, der Welt gedroht und – so Henkel bitter – tatsächlich auch mit der Wiedereinführung des alten, wertlosen Franc. Merkel zeigte sich beeindruckt und gab nach. Henkel zitiert in dieser Sache kopfschüttelnd den Chef des ifo-Institutes, Sinn, als Zeuge für die Naivität der Kanzlerin: „Nicht der Euro, das französische Bankensystem war in Gefahr“.

Die Bilanz für die Deutschen fasst der Ökonom Henkel so zusammen: „Ich fürchte, sie haben bis heute noch nicht gemerkt, dass es an jenem Maitag 2010 in Brüssel zu einem Putsch gegen herrschendes Recht, einer Untreue gegen den deutschen Staat und einem finanziellen Betrug am deutschen Steuerzahler gekommen war“. Da war er wieder, der Ausnahmezustand.

In dieses Bild des „Putsches“ würde auch die private Theorie Henkels passen, der ehemalige deutsche Bundespräsident Köhler sei in jenen Maitagen wegen des – im Grunde verfassungsfeindlichen – Drucks zur Zeichnung des europäischen Rettungspaketes zurückgetreten. Der Präsident hatte für die schwierige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes keine zwei Tage Zeit bekommen. Beweisen lässt sich das freilich nicht.

Keine Frage, viele Deutsche und Europäer fragen sich nun mit dem Euro-Kritiker Henkel, welche politische Kraft noch auf der anderen Seite steht. Praktisch alle Parteien von links bis rechts sehen weder zum Euro noch zur Politik der Neuverschuldung eine Alternative. Die neuen “rechten” Parteien sind in Wirtschaftsfragen neoliberal und bündeln nebenbei den alten europäischen Rassismus gegen die Muslime. Während die Notenpressen der Papiergeldfabriken heiß laufen, fragen sich immer mehr Bürger, was es wohl heißen wird, wenn ein System sich dauerhaft als alternativlos beschreibt.

An dieser Stelle deutet sich nun eine weitere Ironie der Geschichte an. Durchaus rationale Alternativen zum selbstmörderischen Finanzsystem dieser Tage birgt das religiöse Erbe Europas. Die Religionen waren sich immerhin einige Jahrhunderte lang einig, dass die Zinsnahme, die Mutter aller ökonomischen Probleme, verboten ist. Von der Politik als unaufgeklärt und rückständig verachtet, sind es neuerdings muslimische und christliche Denker, die diese andere Seite definieren. Angesichts der moralischen Folgen der Krise beansprucht dieser Dialog neue Relevanz.

Die Kritik geht sogar über Henkels Ansatz hinaus. Kritisiert werden nicht nur die bunten Euro-Scheine, sondern das Papiergeldexperiment insgesamt wird als moralisch und ökonomisch gescheitert angesehen. Mit dem Ruf nach freien Märkten, alternativen Währungen und der Rückbesinnung auf das Zinsverbot basteln sie an möglichen Alternativen zum Bankensystem. „Die Banken sind tot“ – diese Botschaft ist es, die im heutigen „säkularen“ Europa wieder größte Empörung und ungläubiges Staunen hervorrufen dürfte.

Die Befreiung des Geldes als eine politische Idee hat in Europa eine lange Tradition. Schon das berühmte Experiment des Sylvio Gesell in Wörgl, aber auch das Denken großer Europäer, von Goethe bis Ramuz, hat den ungefragten Mythos des Papiergeldes angegriffen. In Goethes berühmtem Faust wird die Idee des Papiergeldes Mephistopheles zugeordnet.

Die Politik aller Lager ging über die dramatischen Gefahren der Papiergeldschwemme hinweg. Die Ideologien sahen im Papiergeld, in den Banken und im Zinssystem nur eine willkommene Technik der Machtsteigerung. Nach dem 2. Weltkrieg finanzierten die Notenbankpressen neue imperiale Bestrebungen. Am Endpunkt der Wirkungsgeschichte der europäischen Philosophie bleibt uns nur der Blick ins ökonomische Chaos, der die alte politische Ordnung mitzureißen droht.

Der „Coup de Banque“ des 21. Jahrhunderts, so glaubt eine beachtliche Zahl von Europäern, kann nur mit neuen, authentischen Währungen überwunden werden. Im Islam, von seinen Gegnern heute als politische Ideologie diffamiert, findet sich ein komplettes, alternatives Wirtschaftsmodell. Die Macht der Politik über die Märkte und das Geld wird darin grundsätzlich begrenzt. Eine der wesentlichen Grundlagen für eine gerechte ökonomische Ordnung ist nach muslimischer Überlieferung ein rationaler und freiheitlicher Umgang mit dem Geld als Tauschmittel. Naturgemäß hätten bei freier Entfaltung über 1,5 Milliarden Muslime, mit ihrer traditionellen Gold- und Silberwährung, Dinar und Dirham, ein großes Potenzial für eine andere Art von Währungsunion.